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Full text of "Der Physiologus des Philipp von Thaün und seine Quellen"

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0 


DER PHYSIOLOGUS 

DES 

PHILIPP VON THAÜN UND SEINE 
QUELLEN. 


EIN BEITRAG ZUR ALLGEMEINEN GESCHICHTE 
DER LITERATUR DES MITTELALTERS. 



IN AU (JUR AL - DISSERTATION 

ZUR ERLANGUNG DER 

DOCTORWÜRDE DER PHILOSOPHISCHEN FACULTÄT 

DER 

UNIVERSITÄT LEIPZIG 

EINGEREICHT 

VON 

MAX FRIEDRICH MANN 

AUS NENTSCHAU IN BAYERN 
(SÄCHSISCHER STAATSANGEHÖRIGER). 


d 

* HALLE a. S. 

DRUCK VON EHRHARDT KARRAS. 

1884 . 



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Mit genehmigung der philosophischen facultät wurde nur ein teil der abhandlung 
als dissertation gedruckt. Die ganze arbeit (1. Leben und werke Philipp’s mit besonderer 
berttcksichtigung seines Physiologus; 2. Die quellen des Physiologus) erscheint in der 
,Anglia, Zeitschrift für englische Philologie’. 


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Herrn Prof. Dr. ADOLF EBERT 


in Verehrung zugeeignet. 


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I. Leben und werke Philipp 9 » von Thaün mit besonderer 
berncksichtigung seines Physiologus. 

Philipp von Thaün ist einer der ersten Altfranzosen, deren 
werke uns erhalten sind, und zugleich der erste normannische 
dichter Englands. 

Das wenige, was wir über ihn wissen, berichtet die Histoire 
Littdraire l , nämlich dass er aus dem alten geschlechte derer von 
Than (Thaün) stammt, der herren des gutes gleichen namens, 
welches drei meilen von Caen in der diöcese Bayeux gelegen 
ist. Die familie ist wahrscheinlich im gefolge Wilhelm’s von 
der Normandie nach England tibergesiedelt; ob sie aber zu 
Philipp’s zeit noch besitzungen im mutterlande hatte, erscheint 
fraglich. Nach Roquefort 2 starb übrigens das geschlecht derer 
von Than im 15. jahrhundert aus. — Philipp selbst lebte und 
dichtete unter Heinrich I. (1100—1135), wie wir aus seinen 
werken wissen. 

Das erste derselben ist sein Computus 3 , in welchem er, um 
die geistlichen zur abfassung des kirchlichen kalenders anzu¬ 
leiten, von der Zeiteinteilung, und in Verbindung damit vom tier- 
kreis, vom mond und seinen phasen, sowie von den kirchlichen 
fest- und fastenzeiten handelt. Zum teil fügt er allegorische 
deutungen hinzu, zum beispiel wo er von den Sternbildern und 
von den tagen der woche spricht. An solchen stellen erhebt er 


1 Ygl. Hist. Litt, de la France (IX, 173 & 190; X, LXXI): XIII, 60—63. 

2 Ygl. Roquefort, de P6tat de la po6s. fr. dans les XII. et XIII s. 
Paris 1821. p. 253 anm. 2. 

3 Vgl. Mall, Li Cumpoz Philipe de Thaün, Strassburg 1873. — Der 
Computus wurde vor Mall schon von Wright mit dem Bestiaire Philipp’s 
zusammen ediert unter dem unsinnigen titel: ‘Livre des Cräatures’ (vgl. 
Ebert, Jahrb. V, 358—360). Wir citieren jedoch in der folge den Computus 
nach der ausgabe von Mall, weil dieselbe aUein einen kritischen text bietet. 


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MANN, 


sich auch zu einer etwas schwungvolleren diction, während im 
übrigen die darstellung dem Stoffe entsprechend äusserst trocken 
und nur der form nach poetisch ist; denn die ausdrticke bleiben 
sich so viel wie möglich gleich. Ueberhaupt scheint uns Philipp, 
der speziell nur für niedere geistliche schrieb, denen die kennt- 
niss des Lateinischen mangelte, sich des versmaasses nur des¬ 
halb bedient zu haben, damit sich der inhalt leichter dem 
gedächtnisse “einprägen lasse. Der wert dieser dichtung 
liegt allein auf sprachlichem gebiete, der ästhetische wert ist 
gleich null. 

Als quellen seines Computus gibt Philipp selbst an: 

Gerlanz(-t): v. 484, 1251, 2079, 2130, 2360, 2395, 2495, 2866, 2910, 2952, 
3109, 3119, 3208, 3326, 3341. 

Helperi(s): v. 1249, 1263, 1314, 1366, 1386, 1400, 1409, 1463, 2111, 2361, 
2497. 

Bede: v. 752 (‘de tempore’), 1251, 1892, 2079, 2360; 2379 (‘d.t.’), 2495, 
2639, 3249. 

Turkü(s): v. 2080, 2214, 2361, 2399, 2498, 3208. 

Nebroz(-t): v. 1252, 1346, 2362, 2496, 3342. 

Macrobie(s) (‘el sunge Scipiun’): v. 1191, 1517, 2719. 

Plinius: v. 2699, 2717, 2761. 

Ovide: v. 394, 1292, 2804. 

Augustin(s) (‘en un livre divin, kist esposiciun del saltier’): v. 33, 61, 
241, 616, 2777. 

Genesin: v. 216, 322, 417, 500, 902, 2000, 2578. 

Passinn: v. 1620, 2750. 

Pitagoras: v. 2687. 

Cingius: v. 744. 

Servius: v. 785. 

Moyses: v. 333. 

Ausserdem citiert Philipp noch häufig ‘ders divitis’ (‘divin’) (287, 321, 
349, 521, 1009, 1495, 2714) und ‘les lalins ’ (288, 350 [clerc de Latin], 1010), 
dazu ' cumpotistiens’ (305, 351, 2314), ‘astronomiens* (306, 352) und ‘Egyp- 
tiens ' (1185, 1205, 1264, 2313, 3049), und beruft sich auf ‘Li Griu (349, 357, 
1093) oder ‘la griue genV (2416) und auf ‘Li Rumain’ (1163). Mit den 
Worten *si cum truvum escrit * deutet er in v. 998 und v. 1039 auf die Bibel 
hin, in v. 1817 dagegen auf eine uns unbekannte quelle, worauf wir noch 
zurückkommen werden. Endlich gibt er v. 39 ff. noch an, welche Schriften 
ein guter geistlicher gebrauchen müsse: 

‘I§o fut li saltiers 
E li antefiniers, 

Baptisteries, graels, 

Hymniers e li messeis, 

Tropiers e le^unier 
E canes pur plaidier 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


7 


A oels ki le mal funt, 

Envers Den se forfunt, 

E cumpoz pur cunter 
E pur bien esguarder 
Les termes e les des 
E les festes anuels\ 

Wir haben die von Philipp angezogenen quellenschriften 
hier widergegeben, einmal, weil sich zwischen Computus und 
Bestiaire viele parallelstellen finden, von denen noch geredet 
werden muss; und dann, weil die allegorische auslegungsweise, 
welche den Bestiaire charakterisiert, stellenweise schon im Com¬ 
putus zu tage tritt, und es sich noch fragen wird, auf grund 
welcher werke sie unser dichter in demselben anwendet. 

Wie weit Philipp die genannten autoren und Schriften wirk¬ 
lich benutzt hat, muss eine Untersuchung feststellen, die ausser¬ 
halb unserer aufgabe liegt. Jedenfalls wollen wir aber das her¬ 
vorheben, dass er, um sich den schein eines gelehrten wissens 
beizulegen, die allermeisten autoren nicht auf grund eigener 
lektüre anflihrt, sondern auf grund der von ihm benutzten werke, 
und zwar, wie wir gefunden haben, besonders auf grund von 
Beda’s Schrift: ‘De temporum ratione’; denn daran ist z. b. 
gar nicht zu denken, dass er Pythagoras gelesen habe, viel¬ 
mehr citiert er denselben auf grund von Beda’s ‘De temporum 
ratione’ 1 , kap. XXVI, wie er ferner z. b. auch Plinius auf grund 
von kap. XXVH desselben Werkes anführt. Ausserdem nennt 
er autoren als quellen, deren namen, wenn sie uns richtig 
überliefert sind, wir nicht mehr kennen. Da ist zunächst ein 
Nebroz, ‘li vaillanz’ zubenannt, dessen name in lateinischer 
form Nebrotus lauten würde. Einen autor dieses namens 
können wir nicht auffinden, und als einzigen ähnlich klingen¬ 
den führt Wright 2 Nebritius an, dessen träger ein spanischer 
Schriftsteller des 6. jahrhunderts war. Ebenso unbekannt ist 
uns Cingius, welchen Philipp einen ‘philosophen’ nennt. Wollte 
man aber für Cingius Cincius lesen, so hätte man damit den 
namen von autoren gewonnen, die auf ganz anderem gebiete 
tätig waren, als Philipp, und ‘philosophen’ nicht genannt 


1 Ed. Migne, Patrologia, t. XC. Vgl. s. 409 und 419. 

2 Vgl. Wright, Populär Treatises on Science written during the Middle 
Ages, London 1841, s. X. — Da Wright in seiner ausgabe die verse nicht 
nummeriert hat, eitleren wir dieselben nach den seiten, so dass also v. 75,2 
bedeutet: der 2. vers auf s. 75. 


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MANN, 


werden können. Anders verhält es sich schon mit Turkils. 
Allerdings kennen wir auch einen autor dieses namens nicht, 
aber schon die Schreibung ‘Turchil’ bei Wright (v. 67, 25 = 
Mall v. 3208) deutet darauf hin, dass wir unsere unkenntniss 
nur einer Verderbtheit des textes an dieser stelle zu ver¬ 
danken haben; denn Philipp muss hier tatsächlich eine Vor¬ 
lage benutzt haben, da er v. 2214 ff. genau das erste kapitel 
des zweiten buches, v. 2399 ff. das neunte kapitel des dritten 
buches, und v. 2498 ff. das vierte kapitel desselben buches 
citiert. — Unter Servius dürfte Philipp jenen grammatiker Ser- 
vius Honoratus gemeint haben, von dem die nachweit einen 
reichen kommentar zu Vergil besitzt. Gar nicht vermögen wir 
jedoch zu entscheiden die frage, welche bücher er unter den 
‘livres que l’um lit’ verstanden hat, die er als quelle bei der 
gelegenheit anführt, wo er das Sternbild der fische allegorisch 
deutet (v. 1818). Andererseits widerum hat er die etymologien 
Isidor’s benutzt (z.b. für die abschnitte: ‘de hebdomada’ v.409 ff. 
und ‘de mensibus’ v.631 ff. die gleichtitligen kapitel XXXII und 
XXXIII des V. buches der etymologien), ohne autor oder werk 
überhaupt zu citieren. Wie dem aber auch sein mag, jeden¬ 
falls sind die drei hauptwerke, die Philipp bei abfassung seines 
Computus benutzt hat, Beda’s sehrift ‘De temporum ratione’, 
Gerland’s Computus, dessen tafeln mit dem jahr 1082 beginnen, 
und der Computus des st. galler mönches Helpericus 1 , welchen 
sein Verfasser selbst in’s jahr 1090 setzt. 

In dem zweiten werke Philipp’s, in seinem Bestiaire, wel¬ 
cher den gegenständ unserer Untersuchung bildet, tritt uns ein 
anglonormannischer physiologus entgegen, der in zwei hand- 
schriften erhalten ist. 

Die erste ist eine pergamenthandschrift des britischen museums (Bibi. 
Cott. Nero A. Y), welche zunächst auf blatt 1 bis blatt 39» den Computus 
enthält. Darauf folgen zwei leere seiten und eine ergänzung zum Com¬ 
putus, und mit fol. 41» erst beginnt der Bestiaire. Am Schlüsse desselben 
findet sich von der hand des Schreibers ein ein trag, welcher besagt, dass 
die handschrift eigentum der abtei Holmcoltram in Cumberland sei, und 
da dieselbe im jahre 1150 gegründet wurde, so ist damit für das alter des 
kodex eine obere grenze gegeben (vgl. Maü s. I). — Nach ihm hat Wright 
den Bestiaire veröffentlicht (vgl. Wright s. 74—131). 

Die zweite handschrift befindet sich auf der königlichen bibliothek 


1 Ed. Pez, Thesaurus Anecdotorum Novissimus, tom. II, pars II, 
p. 182—222. — Der Computus des Gerland ist bisher noch nicht gedruckt 


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THAÜN’S PHYSIOLOGUS UND SEINE QUELLEN. 


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zu Kopenhagen, no. 3466 der ehemaligen königlichen Sammlung. 1 Sie ist 
eine papierhandschrift aus dem anfange des vierzehnten Jahrhunderts, in 
kleinoktav, welche neunundfiinfzig seiten zu vierundzwanzig zeilen auf 
schwarzen linien zählt. Die initialen sind in rot und blau gemalt, und die 
achtundzwanzig bilder, welche den text erläutern, in roher weise ausge- 
führt. Nach sieben weissen blättern beginnt der Schreiber auf der ersten 
Seite des achten^blattes folgendermassen: 

‘ In~nomine ste et indiuidue trinitatis bestiarius incipit quem phi- 
lippus taoniensis fecit in laude et in memoria regine anglie . melidis est 
nomen uere quod recte conuenit ex re . s. ebraice dictum est. Et quia laux 
dicitur a philippo laudatur. Ecce philippus adest cui talia dicere fas est’. 
Nach zehn lateinischen versen zu ehren der königin von England fährt 
er also fort: 

‘Liber iste bestiarius dicitur quia in primis de bestiis loquitur. 
Et secundario de auibz et de lapidibz. Sunt autem et alia que natura 
finxit. Obedientia et in hoc denotatur puericia. Sunt etiam uolucres 
in altum uolantes . delinquunt homines celestia meditantes. Est natura 
lapidis quod per se est immobilis. Ita nobis cum superis sit deus in- 
effabilis. Ut in sua praesentia ejus misericordia . et cum sctorum gloria 
decantemus alleluia’. 

Nach dieser einleitung beginnt das gedieht also: 

‘Phelippe de thaon 
en francoise reson 
a escret bestiaire 
vn liure de grammaire 
par eneur dune dame 
qui est mult bele fame 
et est cortoise et sage 
de bones meurs et large 
aaliz est nomee 
reine est coronee 
reine dengleterre 
dune pleniere terre 
et oiez de son non 
qui en ebrieu trouon 
aaliz si nons est 
loenge de deu est 
en ebrieu poruerte 
aaliz laus de deu. 
nen os fere loenge 
qenuie ne me repraigne 
mes quele soit remenbree 
et toz iorz mais loee 
cest liure en uoil traittier 
dex soit al comentier’. 


1 Vgl. Abrahams, descript. des manuscr. franc. du moyen äge de la 
bibl. roy. de Copenhague. Copenh. 1844. No. XIX, s. 44. 


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MANN, 


Den eigentümlichen zug, welchen der Physiologus vom igel berichtet, 
gibt die kopenhagener handschrift so wider: 

*el tens de uendengier 
vait monter el palmier 
la o il grape noit 
que plus meure soit 
et abat lo resin 
molt li est mal uoisin 
puls del palmier descent 
sor les resins sestent 
et desus sennelope 
roont come pelote 
qant est tres bien chargiez 
des resins enbrochiez 
einsi porte pasture 

a ses filz par nature\ (fol. 51 b ) 

Auf fol. 56 a bricht die handschrift mit der beschreibung des Wal¬ 
fisches ab, ohne denselben allegorisch zu deuten. Die letzten verse sind: 
‘cetus est molt grant beste 
toz tens en mer conuerse 
le sablon de mer prent 
de sor son dos lestent 
sor mer se drecera 
en pes si estera 
li notoniers la uoit 
cuide que illes soit 
iluec vait arriuer 
son conroi a prester 
la beste le fol sent 
et la nef et la gent 
tantost se plungera 
sil puet sis neira\ 

Hierauf folgen drei unbeschriebene blätter. — Da man aus der Über¬ 
einstimmung der von Abrahams veröffentlichten und von uns widerge¬ 
gebenen proben mit den entsprechenden stellen der londoner handschrift 
schliessen darf, dass auch der übrige text derselbe ist, so würde die kopen¬ 
hagener handschrift dreiundzwanzig artikel bieten, und zwar das, was man 
in Philipp’s gedieht als ‘de bestiis’ zusammenfassen kann. Hätte der 
Schreiber aber nicht auch die ‘volucres’ und ‘lapides’ geben, sondern mit 
den ‘bestiae’ abschliessen wollen, so bliebe es höchst auffällig, dass er 
die wenigen verse, die ihm zum wirklichen abschlusse noch fehlten, näm¬ 
lich die verse von der allegorischen deutung des walfisches, nicht hinzu- 
gefiigt hat (bei Wright 30 v.!) Wir werden also in der annahme nicht 
fehl gehen, dass seine Vorlage noch weitere artikel hatte, an deren wider- 
gabe er aber irgendwie verhindert wurde. 

Was das verhältniss der beiden handschriften zu einander anlangt, 
so behauptet Abrahams, die kopenhagener sei eine kopie der londoner. 


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thaün's physiologüs und seine quellen. 1t 

Dem steht aber folgendes entgegen: die jüngere handschrift zeigt, wie 
schon gesagt, achtundzwanzig abbildungen, während die ältere keine hat. 
Zu dieser annahme ist man berechtigt, da andernfalls Wright und Mall 
dies hervorgehoben haben würden. Allerdings werden wir weiter unten 
noch nachweisen, dass für die londoner handschrift abbildungen wenigstens 
vorgesehen waren, aber auf keinen fall so viele, als sich in der kopen- 
hagener tatsächlich finden. Wäre dieselbe nun wirklich eine blose kopie 
der londoner, so müsste sie auch in der zahl der abbildungen mit ihr 
übereinstimmen. Uns scheint es vielmehr sicher zu sein, dass beide manu- 
skripte aus einer gemeinsamen Vorlage entstanden sind, welche entweder 
so viel abbildungen zeigte, als man aus dem veröffentlichten texte nach¬ 
weisen kann, oder sich, wie dieser, mit einer andeutung derselben be¬ 
gnügte. Dieses letztere ist jedoch weniger wahrscheinlich, und vermut¬ 
lich hat der Schreiber der londoner handschrift die bilder seiner Vorlage 
nur deshalb nicht widergegeben, weil er sich zu ihrer ausführung nicht 
fähig fühlte. Jedenfalls hat er aber raum gelassen zur ausführung von 
anderer hand, was jedoch durch irgend welche Zufälligkeiten unterblieben 
ist. Die kopenhagener handschrift würde demnach die abbildungen der 
Vorlage bringen, vermehrt noch durch solche aus einem werke ähn¬ 
licher art. 

Unserer ansicht von einer gemeinsamen quelle der handschriften 
könnte auf den ersten blick entgegenstehen, dass dieselben sprachlich 
auseinander gehen; denn der text der älteren von ihnen trägt, allerdings 
nicht rein durchgeführt, jedoch ganz unverkennbar die Charakteristika des 
Normannischen, von denen wir besonders das auftreten von ei für alt¬ 
französisches oi, ferner die Vorliebe für den w-laut an stelle von o, ou, eu 
der anderen dialekte, die bildung des imperf. der J. conj. auf oue und das 
nichterweichen des l hervorlieben wollen, während der text der jüngeren 
handschrift sich entgegengesetzt verhält (in unseren proben wenigstens) 
und dadurch mehr an das Francische sich anschliesst. Allein es ist gegen 
einen derartigen vorwurf einzuwenden, dass daraus, dass der kopenhagener 
text gerade diese mundartlichen züge trägt, keineswegs hervorgeht, dass 
dieselben auch in der Vorlage sich fanden; denn sie können sehr gut 
durch den Schreiber selbst in den text hineingetragen worden sein. Dies 
ist aber um so eher möglich, als die kopenhagener handschrift im vier¬ 
zehnten jahrhundert abgefasst wurde, das heisst in einer zeit, in welcher 
die francische mundart bereits die herrschende war und sich die volks- 
dialekte unterwarf. 

Was die frage nach der Vollständigkeit der uns überlieferten hand¬ 
schriften angeht, so haben wir schon an anderer stelle gesagt, dass die 
kopenhagener mit dem cetus aufhört Dieses bruchstück würde nach der 
analogie der londoner ungefähr 1900 verse zählen. Dass es nicht mehr 
sind, ist um so tiefer zu beklagen, als auch die handschrift des britischen 
museums nicht ganz vollständig auf uns gekommen ist, indem sie gerade 
in dem teile eine lücke zeigt, welchen die andere gar nicht aufweist. 
Nach Mall (s. 2) findet sich diese lücke zwischen fol. 78 und 79. Schon 
Wright war sie aufgefallen, und er bemerkt deshalb in seiner ausgabe 
s. 125 nach v. 3: ‘A leaf appears to be wanting’. Sie fände sich also 


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MANN, 


nach den beiden versen, in welchen der dichter sagt, dass er und warum 
er sein versmaass ändern wolle: 

‘Or voil mun metre muer, 

Pur ma raisum melz ordener\ 

In der tat stehen die folgenden verse: 

*E par la resplendur avum, 

Que nus od Deu regner devum’ 

ausser allem zusammenhange und können nur auf vorhergehendes gedeutet 
werden, welches eben fehlt, denn der dichter fährt fort: 

‘E §eo sacez vereiement 
Que l’en l’adamas bruist en fent, 

Par le sanc de buc e de plun, 

Signefie grant raisun’. 

Wie viel uns durch die lttcke verloren gegangen, ist schwer zu be¬ 
stimmen, jedenfalls aber (nach den quellen der dichtung zu urteilen) nur 
ein teil eines einzigen artikels, und zwar lassen die oben genannten verse 
darauf schliessen, dass das fehlende ein teil des artikels vom magnetstein 
gewesen ist. 

Es wäre aber verfehlt, aus der Unvollständigkeit der uns 
überlieferten handschriften den Schluss ziehen zu wollen, dass 
Philipp sein werk nicht vollendet habe; denn in der londoner 
handschrift tritt uns dasselbe durchaus als abgerundetes, fer¬ 
tiges ganze entgegen, das auch wol versehen ist mit einlei- 
tung und Schlusswort. Nach unserer zählung umfasst es 3130 
verse. 

Wie schon aus dem zweiten lateinischen Vorwort hervor¬ 
geht, schliesst sich auch Philipp in seinem Physiologus einer 
althergebrachten einteilungsweise an und handelt erst von den 
‘bestiae’, dann von den ‘volucres’ und endlich von den ‘lapides’, 
und zwar nehmen die einzelnen teile bezüglich 23, 11, 3 zu¬ 
sammen also 37 selbständige artikel ein, deren reihenfolge 
diese ist: 

Bestiaire. 

Typus für Christus: 1. Leun, 2. Monosceros, 3. Pantere, 4. Porcon, 
5. Idrus, 6. Cerf. 

Typus für den menschen: 7. Aptalon, 8. Furmie, 9. Honocentaurus, 
10. Castor, II. Hyena, 12. Mustelete, 13. Asida, 14. Grylio, 15. Serene, 
16. Elefant, 17. Aspis. 

Typus für den teufel: 18. Serra, 18. Herizun, 20. Gulpilz, 21. Onager, 
22. Singe, 23. Cetus. 

Volucraire. 

Typus für den teufel: 24. Perdix. 

Typus für Christus: 25. Egle, 26. Caladrius, 27. Fenix, 28. Pellicanus, 
29. Colum. 


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thaCn’s physiologus und seine quellen. 


13 


Typus für die kirche: 30. Turtre. 

Typus für den menschen: 31. Huppe, 32. Ibex, 33. Fullica; 34. Nic- 
ticorax (Fresaie). 

Lapidaire: 

Typus für den menschen: 35. Turrubolen. 

Typus für Christus: 36. Adamas, 37. Unio. 

Hierzu ist folgendes zu bemerken: Zunächst muss es auffallen, dass 
die asida, worunter der strauss zu verstehen ist, unter den ‘bestiae’ auf- 
gefiihrt wird, obwol Philipp sie einen vogel nennt (96,21) und ausdrück¬ 
lich berichtet, dass sie eier legt, aus denen junge vögel hervorgehen (96,15). 
Nach der ameise (v. 93,6 ff.) spricht Philipp ganz kurz vom ameisenlöwen 
(formicaleun); es ist dies aber um so weniger als selbständiger artikel 
aufzufassen, als er nicht einmal eine allegorische deutung des tieres ver¬ 
sucht. — Ebenso verhält es sich mit dem, was mit bezug auf den ele- 
phanten von der wurzel mandragora (nach 101,16) gesagt wird; denn auch 
hier ist von einer allegorie keine rede, und ausserdem würde es der an- 
ordnung der typen zuwider sein, wenn man unter den ‘ bestiae ’ die man¬ 
dragorawurzel als typus für sich auffassen wollte. — Was den artikel vom 
1 cocodrille’ anlangt, so hat Wright schon durch den druck angedeutet, 
dass er ihn als selbständigen aufgefasst wissen will. Allein Wright hat 
darin entschieden geirrt. Allerdings wird das krokodil allegorisch aus- 
gelcgt, aber diese auslegung bezieht sich durchaus nur auf eigenschaften, 
die vorher schon in Verbindung mit dem hydrus erwähnt worden sind (s. 85), 
während die in v. 86, 8—16 folgende naturgeschichtliche Schilderung des 
tieres keinerlei deutung erfährt. Diese Schilderung ist, wie wir noch sehen 
werden, nicht aus den lateinischen phyBiologen genommen, die vom kro¬ 
kodil nur so viel berichten, als nötig ist, um die tätigkeit des hydrus zu 
verstehen. — Hingegen behandelt Philipp den honoeentaurus selbständig, 
der in den lateinischen Versionen gewöhnlich in Verbindung mit den Sirenen 
erscheint. In gleicher weise hat Philipp den artikel vom affen nicht mit 
dem vom wildesei vermischt, was man nach dem drucke bei Wright doch 
annehmen müsste. In allen lateinischen redaktionen wird dem affen, 
wenn sie ihn überhaupt behandeln, ein besonderes kapitel gewidmet, und 
nur der Schreiber des göttweiher physiologus hat den excurs über den 
wildesei mit dem über den affen verbunden. — Vers 126,19 ff. behandelt 
Philipp die zwölf apokalyptischen steine; dieselben sind aber um so weniger 
als selbständiger artikel aufzufassen, als die art ihrer auslegung von der 
des Physiologus vollständig verschieden ist. — Es bleibt also dabei, dass 
die dichtung Philipp’s in der gestalt, in welcher sie uns erhalten ist, 
siebenunddreissig getrennte artikel enthält. 

Dem ganzen gehen zwei lateinische Überschriften voraus, 
und der altfranzösische text ist häufig durch lateinische zwischen- 
schriften unterbrochen. Dieselben bedürfen einer näheren Unter¬ 
suchung. 

Die 1. Überschrift besagt, dass der Bestiarius beginne, welchen 
Philippus Taonensis zum lobe und zum gedächtniss der künigin Alice 
von England verfasst habe. 


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14 


MANN, 


Die 2. Überschrift erklärt, warum die dichtung Bestiarius genannt 
werde, und damit zugleich, wovon sie handle. Bei der Veröffentlichung 
derselben ist es Wright entgangen, dass gewisse Wörter mit einander 
reimen. Wir möchten sie deshalb so dargestellt wissen: 

Liber iste Bestiarius dicitur, 

Quia in primis de bestiis loquitur. 

Et secundario, de avibus. 

At ultimam autem, de lapidibus. 

Itaque trifarie spargitur, 

Et allegorice subintellegitur. 

Sunt autem animalia 
Que natura a Christa prona, 

Atque ventri obedientia, 

Et in hoc denotatur pueritia. 

Sunt etiam volucres 
In altum volantes, 

Quo designant homines 
Caelestia meditantes. 

Et natura est lapidis 
Quod per se est immobilis. 

Ita nobis cum superis 
Sit Deus ineffabilis, 

Ut in sua praesentia 
Ejus misericordia 
Et cum sanctorum gloria 
Decantemus Alleluja. 

Es wäre von vornherein verfehlt, hierin irgend ein klassisches metrum 
aufspüren zu wollen, denn der quantitative vers verschwindet frühzeitig 
aus der volksmässigen christlich-lateinischen poesie. Auch stimmen nicht 
einmal die einzelnen zeüen in bezug auf silbenzahl überein, wiewol die 
achtsilbigen tiberwiegen. Man braucht diese Verschiedenheit aber nicht auf 
eine schlechte widergabe von seiten des Schreibers zu schieben,' um in der 
obigen zweiten Überschrift ein beispiel mittelalterlicher reimerei zu sehen. 

Nach der zweiten Überschrift beginnt die dichtung Philipp’s mit einer 
einleitung, welche im wesentlichen dasselbe sagt, als die erste Überschrift 
Hierauf folgt die J. zwischenschrift (nach 74, 7), welche wir mit Um¬ 
stellung von ‘est rex omnium’ in ‘omnium est rex’ als in siebensilbigen 
versen mit endreim geschrieben auffassen: 

‘Leo quoque omnium 
Est rex animalium, 

De quo liber loquitur, 

Ideo praeponitur; 

Et ejus formatio 
Et compaginatio 
Magnum quid significat, 

Ut über notificat’. 

Damit ist ein guter Übergang gewonnen zur darstellung des löwen. 


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thaün's physiologus und seine quellen. 15 

Die 2. zwisehenschrift (nach 76, 13): ‘Leonis canda Scripturam vel 
Dei justitiam significat, et circulus caelum vel aecclesiam significat’ bezieht 
sich auf den folgenden text: 

‘La cue par nature 
Mustre Saint Escripture; 

E la cue est justise 
Ki desur nus est mise; 

E par le ceme entendum 
Parafs par raisun’. 

Eine ungenauigkeit hierbei bestände darin, dass der lateinische text den 
kreis, welchen der löwe beschreibt, als den himmel oder die kirche deutet, 
während der altfranzösische text ihn als das paradies auslegt, wenn man 
nicht annimmt, dass vel gleich sive oder gleich ei gebraucht ist, wie es 
in der mittelalterlichen latinität vorkommt, und parais = caelum . Immer¬ 
hin bleibt noch der eine Widerspruch, dass die zwisehenschrift den cir¬ 
culus als ‘caelum v\el (et) aecclesia 9 deutet, der text aber nur als paradies. 
Noch sei bemerkt, dass an dieser stelle in der Vorlage eine abbildung sich 
befinden musste, denn vers 76,13 sagt: 

‘Ceo mustre la painture, 

Si est dit par figure’. 

Die 3. zwisehenschrift steht nach 78,12 und heisst: ‘Leo iste Christum 
significat, et gallus sanctos Dei, et plaustrum Evangelistas’. Sie bezieht 
sich auf spätere verse, denn vers 78,13 ff. wird der hahn als typus der 
heiligen männer bezeichnet, und der wagen vers 80, 1 f. auf die vier 
evangelisten gedeutet. Uebrigens geht aus dem ‘leo iste ' hervor, dass 
die Vorlage an^ dieser stelle abermals eine abbildung gebracht haben muss, 
was bestätigt wird durch die verse: 

‘E i$eo entendez, 

Es furmes que veez’. (78,12). 

Die 4. zwisehenschrift, mit Überschrift versehen und in hexametem 
abgefasst, steht nach 78, 22 und nimmt bezug auf die folgende dar- 
stellung. 

Die 5. zwisehenschrift (nach 79,4), den hexameter: 

‘Sexta sunt tenebrae mundi per climata factae’, 
bringen wir in Verbindung mit der bibelstelle Matth. 27,45: ‘Und von der 
sechsten stunde an ward eine finsterniss über das ganze land, bis zu der 
neunten stunde’, indem wir zu ‘sexta* hora ergänzen. Dadurch passt sie 
auch in den gedankengang der dichtung. Zweifellos sind aber sowol 
dieser hexameter, wie auch die vorhergenannten einem fremden werke 
entlehnt. 

Die 6. zwisehenschrift (nach 89, 20) schliesst sich dem altfranzösi- 
schcn texte an. 

Ebenso die 7., 8. und 16.—16. zwisehenschrift (nach bezüglich 90,4; 
90,16; 91,6; 91,10; 91,17; 92,0; 92,11; 93,6; 93,13), welche man gleich¬ 
sam als inhaltsangaben oder Überschriften zu den versen ansehen kann, 
über welchen sie stehen. 


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16 


MANN, 


Die 9. zwischenschrifk (nach 90,25) bezieht sich mit den Worten: 
‘Hic formica fingitur 9 etc., wofür augenscheinlich ‘hic formica pingitur' 
gelesen werden muss, auf eine abbildung. 

Aus dem satze: ‘Hic onoscentaurus pingitur, semihomo et asinus’ 
der 17. zwischenschrift (nach 93,18) geht hervor, dass die Vorlage hier 
eine abbildung gezeigt haben muss. Der übrige teil der zwischenschrift 
bezieht sich auf vers 93, 19—23, jedoch muss augenscheinlich fiir ‘et pars 
homini rusticitatem designat’ gelesen werden ‘et pars asini’ etc. 

Die 18. zwischenschrift (nach 94,3) handelt vom castor und stel t am 
richtigen platze. 

Die 19. (nach 94,16) kann in ihrem ersten teile nur auf eine ab¬ 
bildung der Vorlage gedeutet werden, denn es heisst: ‘Hic Venator et 
castor pingitur, et quomodo testiculos proicit ante faciem venatoris ’. Der 
zweite teil bezieht sich auf die allegorische auslegung, ist aber unvoll¬ 
ständig, da entgegen dem texte der dichtung die tesliculi nicht ausgelegt 
werden. Es heisst nur: ‘et iste Venator Diabolum significat, et castor 
sanctum hominem, et testiculi...’ 

Nach 94,24 findet sich, bevor die hyäne geschildert wird, die ein¬ 
fache Überschrift: ‘De hyena, et ejus natura\ 

Die 21. (nach 95,6): ‘Hyena hic pingitur, que cupidum hominem 
significat’ geht teils auf eine abbildung der Vorlage, teils auf die folgen¬ 
den verse. 

Die 22. und 23. (nach 100,26 und 101,16) können widerum als latei¬ 
nische Überschriften zum folgenden texte aufgefasst werden. 

Die 24. aber, welche lautet: ‘homo qui eam vuit colligere’ entspricht 
zwar dem verse: ‘Hom ki la deit euillir 7 (101,23), erschiene jedoch von 
einem ganzen willkürlich getrennt und hier verwendet, wenn man nicht 
annimmt, dass sie auf ein beistehendes bild verweist. — (Nach 101,22). 

Die 25. zwischenschrift (nach 102,9) gibt den inhalt der verse 102, 
10—13 wider, und die 26. (nach 102,13) den der verse 102,14—21. 

Die 27.: ‘Aspis hic pingitur, et quomodo obturat aures ’ kann nur auf 
eine abbildung der Vorlage bezogen werden. — (Nach 102,21). 

Die 28. (nach 103,8) entspricht dem verse 103,9. 

Eine grössere zwischenschrift findet sich nach v. 103,21. Wir fassen 
sie rhythmisch auf und zwar als siebensilbler mit endreim (-L w ~w—w—): 

‘Haec sunt animalia, 

Gentes designantia, 

Per eorum opera; 

Et ut quaeque propriam 
Conservat maneriam, 

Sic et homo gratiam, 

Et sequentes bestie, 

Sub demonis specie, 

Referuntur congrue 7 . 

Man könnte dieselben weiter zu dreizeiligen einreimigen Strophen zu¬ 
sammenfassen. — Den anlass, diese verse einzuschieben, gab der umstand, 
dass die tiere von der ameise bis zur aspis als typen für die menschen 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 17 

aufgefasst werden, während die tiere von der serra bis zum rebhuhn typen 
für den teufel sind. 

An diese zwischenschrift schliesst sich eine 30. unmittelbar an, die 
den titel zum artikel von der serra bildet. Derselbe wird nach vers 104,9 
durch zwei zusätze unterbrochen, welche die allegorien der folgenden verse 
zusammenfassen. Der erste zusatz besagt ferner, dass in der Vorlage die 
serra, die fische, die schiffe und das meer abgebildet gewesen sein müssen, 
wfis durch die folgenden verse Philipp’s bestätigung findet: 

‘E igeo demustrum 

* El furme que parnum’. Vers 104,9. 

Die 32. zwischenschrift bildet eine Überschrift zum artikel vom .‘Heri- 
zun\ — (Vor 105,1). 

Die 33. sagt kurz, dass an dieser stelle der ‘hericius’ abgebildet 
werde. — (Nach 105,11). 

Die 34. zwischenschrift (nach 108,7) gibt an, dass an dieser stelle 
das tun und treiben des walfisches durch eine Zeichnung erläutert wird, 
und fasst weiterhin die allegorische deutung zusammen, welche in den 
versen 108,8—22 enthalten ist. 

Einen allgemeineren Charakter trägt die 35. zwischenschrift (nach 
109,23), insofern man sie ihrem inhalte nach als eine einleitung zu der 
darstellung der folgenden vögel, die mit dem adler beginnen, auffassen 
könnte. Dieselben sind nämlich teils typen für Christus, teils für die 
menschen, während die artikel vor dem adler typen für Christus, die 
menschen und den teufel enthielten. Wir halten sie für rhythmisch und 
ordnen sie so an: 

‘His quoque monsträtur Deus, 

Hömo, 6t Di&bolüs, 

Pro exemplo gentibus, 

Et hi modo volucres 
Sunt Deum designantes 
Et carnales homines, 

Et est avis aquila 
Que dicitur regia 
In Deo praeposita’. 

Mit ausnahme der ersten zeile, die wahrscheinlich infolge schlechter Über¬ 
lieferung acht Silben hat, wenn nicht Deus, wie es in der rhythmischen 
prosa vorkommt, einsilbig ist, zählen die zeilen je sieben Silben mit dem 
reim auf der letzten. Am besten fasst man diese verse wie die oben 
angegebenen der 29. zwischenschrift zu dreizeiligen einreimigen Strophen 
zusammen, so dass das Schema wäre: 3a, 3b, 3c. 

Merkwürdig ist die nächste zwischenschrift auf Seite 112 nach vers 3, 
weil sie mehr sagt, als im altfranzösischen texte ausgeführt 
wird; denn dieser bietet nichts, was man irgendwie mit dem satze zu¬ 
sammenstellen könnte: ‘et caladrius aut egrotatur aut pro eo sepe moritur’. 
Ueberhaupt macht diese ganze zwischenschrift den eindruck, als ob sie 
aus einem werke ähnlicher art entlehnt, und ohne dass man sich um die 
Übereinstimmung gekümmert hat, hier verwendet worden sei. 

2 


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MANN, 


Noch deutlicher tritt dies in der ,37. zwischenschrift (nach 112,19) 
hervor durch die worte: ‘et dolores nostros ipse portavit, et Judeos pro- 
pter eorum nequiciam derelinquid’. Darauf gibt sie an, dass an dieser 
stelle der mensch und der caladrius gemalt sei. 

Ueber dem artikel vom pelikan steht als 38. zwischenschrift die be- 
merkung, dass seine jungen ihm die äugen aushacken wollen, weshalb er 
sie tötet. Stimmt nun dieselbe zwar überein mit dem, was v. 115, 20—23 
gesagt wird, so muss man sich doch mit recht verwundern, warum gerade 
dieser einzelne zug dem ganzen vorangestellt wird. — (Nach 115,9). 

Auffälliger noch ist die 39. zwischdhschrift (nach 116,3), weil sie 
geradezu in direktem Widerspruche zu den altfranzösischen versen steht. 
Die worte: ‘Et pellicanus Christum significat’ stimmen zwar noch über 

ein mit v. 112,4: . _ . 

‘Cest oisel signefie 

Le Fiz Sancte Marie’, 

aber der satz: ‘et pulli ejus Judeos designant’ steht dem verse entgegen: 

‘E nus si oisel sumes 

En faiture de humes’. (116,5) 

Es findet sich nicht eine einzige bemerkung bei Philipp, durch welche 
man jenen satz rechtfertigen könnte. Wollte man aber unter nus humes 
(vers 116,5) die juden mitverstanden und dadurch den satz erklärt wissen, 
so widerspräche das einmal schon den folgenden versen, in denen aus¬ 
drücklich gesagt wird, dass Christus sein blut für uns vergoss, wie über¬ 
haupt der ganzen tendenz Philipp’s, die juden von den Christen scharf zu 
scheiden und bei jeder sich darbietenden gelegenheit gegen sie zu polemi¬ 
sieren. — Uebrigens muss an dieser stelle eine abbildung in der Vorlage 
gewesen sein, wie aus den versen hervorgeht: 

‘E i§eo demustrum 

Par $eo que si’s peignum’. (116,3) 

Die 40. zwischenschrift enthält das, was in vers 116,15 und 16 und 
vers 116,20 gesagt wird. Der verstümmelte satz: ‘Que etiam alias colurn- 
bas ad se remeare facit’, der sie beginnt, macht den eindruck, als ob er 
einem fremden werke entnommen wäre. 

Ebenso verhält es sich mit dem lateinischen texte, welcher vom 
‘Huppe’ handelt und dem entsprechenden kapitel vorangeht (119,20), 
und mit der auf den stein ‘ Unio ’ bezüglichen zwischenschrift (no. 43) nach 
vers 127,10. Zu der letzteren sei noch bemerkt, dass nach ihr das tragen 
des unio vor dem ‘feinde’ (erbfeinde) schützt, während er nach Philipp 
die keuschheit behütet und gegen ‘vielerlei dinge’ hilft. 

Eine längere zwischenschrift ist die 42. nach 127,5. Wir fassen die¬ 
selbe rhythmisch auf: 

1. str. Hic preciosi lapides 

Caraales sign[ific]ant homines; 

Colorum et varietas, 

Yirtutum multiplicitas, 

2. str. Qui his floruerit, 

Concius esse poterit; 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 19 

Jerusalem pacifera, 

Hec tua sunt fundamina, 

3. str. Felix et imo proxima, 

Que te meretur anima, 

Certos tuorum turrium, 

Non dormit in perpetuum. 

4. str. Concedit nobis agie 

Rex civitatis celice, 

Post metam jure 1 labilis, 

Consortium cum superis. 

Amen. 

Es sind achtsilbige verse, zu reimpaaren verbunden, von denen 
widerum je zwei eine Strophe bilden. Wir haben es also hier mit dem 
bekannten verse der ältesten christlich-lateinischen hymnenpoesie zu tun, 
welcher auf den quantitativen jambischem dimeter zurückgeht, während 
aus ihm widerum jener achtsilbige vers entsteht, der in der altfranzösischen 
dichtung eine so bedeutende rolle spielt. 

Die 44. und letzte zwischenschrift (nach 128,14) bezieht sich wie 
die 43. ebenfalls auf den,unio und gibt an, in welcher weise derselbe an 
dieser stelle abgebildet gewesen sei. Wir fassen sie ebenfalls rhythmisch 
auf, wenn auch der text durch schlechte Überlieferung gelitten hat: 

Et ros quoque ginnitur, 

Gratia intellegitur: 

Hic unio pingitur, 

Et mare in quo nascitur, 

Et de concha egreditur, 

Yel de lapide proditur, 

Et in carne figuratur, 

Allegorice dicitur, 

Quicquid de eo scribitur. 

Die achtsilbigen zeilen herrschen vor, daneben finden sich siebensilbige,. 

Die wichtige frage, die sich an die eben betrachteten 
über- und Zwischenschriften knüpft, ist die, ob dieselben von 
Philipp herrühren oder nicht. Es kann diese frage nicht ent¬ 
schieden werden, ohne den Computus zur Vergleichung heran¬ 
zuziehen. Die handschriften C, L, V des Computus (vgl. Mall 
s. 18 f.) nämlich (nicht aber die kritisch wertvollsten S und A!) 
enthalten teils lateinische, teils französische Überschriften, ge¬ 
legentlich auch beiderlei vereinigt. In keiner sind sie voll¬ 
ständig, sondern fehlen oft ganz, und oft erscheinen sie spo¬ 
radisch gesetzt und ausgelassen. -Darunter mischen sich nicht 

1 Für jure ist offenbar viiae zu lesen, indem der Schreiber der hand- 
schrift das uite seiner Vorlage für iure gehalten hat. Vielleicht auch findet 
sich dieses uile noch in der londoner handschrift, so dass die schuld an 
dieser mangelhaften widergabe Wright zukommt. 

2 * 


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20 


MANN, 


selten ganz ungehörige, wahrscheinlich von Schreibern her- 
rtihrende Überschriften, und endlich erklärende, oder ganz 
müssige randbemerkungen, kurz, zusätze aller art genau von 
dem Charakter der im Bestiaire vorhandenen. Mall hält nun 
(auf die Stichhaltigkeit seiner gründe können wir nicht ein- 
gehen) die französischen Überschriften für echt, da die erhal¬ 
tenen im einzelnen genau die unzweifelhaft echten verse 181 ff. 
widerholen und offenbar bestimmt seien, zu anfang neuer bticher 
deren inhalt anzugeben. Von den, lateinischen Überschriften 
hält Mall einen teil für echt, während er nur ganz ungehörige 
zusätze als unecht ausgemerzt hat. Ist nun die behauptung 
Mall’s, dass die meisten der im Computus enthaltenen franzö¬ 
sischen und lateinischen Überschriften von Philipp herrtihren, 
richtig, so könnte man von vornherein versucht sein, anzu¬ 
nehmen, dass Philipp im Bestiaire seiner im Computus zu tage 
getretenen neigung für Überschriften treu geblieben sei und 
dieselbe zum ausdruck gebracht habe. Allein es ist gegen 
eine solche vorzeitige annahme einzuwenden, dass der Com¬ 
putus, welcher, um seiner bestimmung als nachschlage- und 
memorierbuch gerecht zu werden, vor allen dingen übersichtlich 
geordnet sein musste, dazu auch notwendig der Überschriften 
bedurfte; während im Bestiaire hingegen, der nur den zweck 
hatte, auf das gemüt des lesers zu wirken, wobei allerdings 
religiöse und moralische tendenzen offen hervortreten, der stoff 
sich von selbst gliedert und übersichtlich ordnet. Ein äusserer 
anlass, Überschriften zu geben, lag für Philipp im Bestiaire 
nicht vor; ja, wir behaupten, dass er auch keine hat geben 
wollen, indem wir die sämmtlichen über- und zwischenschriften 
der londoner handschrift für unecht erklären. Hierfür sprechen 
folgende gründe: 

1. Es ist nicht zu verkennen, dass sich Philipp im Bestiaire seiner 
aufgabe einerseits mit einer gewissen liebe zur sache, andererseits mit 
peinlichster Sorgfalt in der widergabe seines Stoffes gewidmet hat. Dieser 
Sorgfalt würde es widersprechen, wenn er einigen wenigen artikeln Über¬ 
schriften gibt, wie: ‘de serra, et ejus natura’, während er den grössten 
teil derselben damit nicht bedenkt. Solche titel zeigen nur: 93,13; 94,24; 
103,21; 105,0. 

2. Es würde dem ferner widersprechen, dass sich teils den artikeln 
voranstehend, teüs dieselben unterbrechend, lateinische zusätze finden, 
die zwar mit dem altfranzösischen texte im allgemeinen übereinstimmen, 
jedoch erstens nicht einmal konsequent durchgeführt, und zweitens ohne 
äusseren anlass verwendet worden sind. Manche enthalten eine inhalts- 


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thaün's physiologus und seine quellen. 


21 


angabe einer anzahl zusammengehöriger verse, manche widerum greifen 
einen unbedeutenden zug oder einzelne verse heraus und geben sie wider 
(76,13; 89,20; 90,4; 90,16; 90,25; 91,6; 91,10; 91,17; 92,0; 92,11; 
93,6; 94,3; 100, 26; 101,16; 102,9; 102,13; 103,8; 115,9; 116,3; 119,20; 
127, 10). Ein bestimmter plan, nach welchem diese zusätze verwendet 
worden waren, lässt sich nicht erkennen. 

3. Von den lateinischen zwischenschriften beziehen sich zwölf (78,12; 
90,25; 93,18; 94,16; 95,6; 101,22; 102,21; 104,9; 105,11; 108,7; 112,19; 

128.14) auf abbildungen der behandelten tiere. Da dieselben zum teil 
schon durch verse Philipp’s angedeutet werden (78,12; 104,9; 112,19), 
so ist kein grund einzusehen, weshalb er es in diesen drei fällen für 
nötig gehalten hätte, doppelt auf sie hinzuweisen. Da Philipp ferner neun 
mal (76, 13; 76, 22; 80, 18; 80, 27; 87, 23; 98, 17; 116, 3; 123, 20; 124, 18) 
nur im gedieht auf abbildungen hinweist, so entstünde daraus das iniss- 
verhältniss, dass er teils in französischer, teils in lateinischer, teils in 
beiden sprachen zusammen auf sie aufmerksam machte. Es spricht ferner 
gegen Philipp’s autorschaft die Ungleichheit dieser lateinischen hinweise 
selbst, die einen auffallenden kontrast bildet zu dem fast stereotypen aus- 
druck der auf abbildungen bezüglichen verse des altfranzösischen textes; 
denn während derselbe fast durchgehends durch die reimtragenden Worte 
nature und figure fixiert ist, enthalten die lateinischen hinweise fast 
ausnahmslos (105, 11) noch kürzere oder längere zusätze (z. b. 108,7; 

128.14) . 

4. Es widerspricht ferner der art und weise Philipp’s, dass einige 
zwischenschriften (112,3; 116,3) entweder züge andeuten, welche in dem 
entsprechenden passus der dichtung gar nicht Vorkommen, oder geradezu 
im gegensatz zu demselben stehen. 

5. Es ist unmöglich, dass Philipp unvollständige und zerissene satz- 
gebilde gebraucht habe, wie sie in den zwischenschriften 94,16; 101,22; 
116,14 erscheinen. Auf den einwurf, dass der Schreiber der handschrift 
dieselben mangelhaft widergegeben habe, ist aber zu entgegnen, dass 
derselbe sich durch die widergabe des altfranzösischen textes als sehr 
gewissenhaft ausgewiesen hat. 

6. Gegen Philipp’s autorschaft sprechen weiterhin die rhythmisch 
abgefassten zusätze. Man kann zwar nicht bezweifeln, dass Philipp im 
stände war, lateinische verse zu schreiben, aber wenn dieselben wirklich 
von ihm herrührten, so wären sie wahrscheinlich auch im gleichen vers- 
maasse geschrieben. Sind sie aber, wie es den anschein hat, nur ent- 
lehnungen aus anderen werken, so wäre es, wenn sie von Philipp in 
den text gebracht sind, zu verwundern, dass er sie nicht übersetzt hat. 
Denn es ist 

7. überhaupt daran festzuhalten, dass Philipp durch seine Übersetzung 
des Physiologus die kenntniss desselben denen ermöglichen wollte, welche 
kein Latein verstanden. Er würde also gegen seine eigene absicht ge¬ 
handelt haben, wenn er so zahlreiche zusätze in lateinischer spräche ge¬ 
liefert hätte. 

8. Wenn Philipp im Computus neben lateinischen auch französische 
Überschriften gebraucht, so würde er sich im Bestiaire ebenso verhalten 


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MANN, 


haben. Es findet sich aber nicht eine einzige französische bemerkung 
ausserhalb der dichtung. 

9. Einen direkten beweis, dass die Überschriften nicht von Philipp 
stammen, gibt uns die erste (im eingange der dichtung) an die hand. Da 
der dichter sein werk der königin Alice von England widmete, so konnte 
er unmöglich schreiben, dass er es ‘in laude et memoria reginae Angliae’ 
gefertigt habe. Ist aber für die unechtheit eines Zusatzes der beweis er¬ 
bracht, so ist man schon dadurch in gewissem maasse berechtigt zu der 
folgerung, dass auch noch mehrere unecht sind, da der autor desselben 
sich gewiss nicht mit einem einzigen begnügt haben würde. 

Wir glauben jedoch durch die gesammten angeführten 
gründe zu der behauptung berechtigt zu sein, dass alle im 
Bestiaire enthaltenen über- und zwischenschriften nicht von 
Philipp herrühren. 

Was aus ihnen zunächst hervorgeht, ist, dass sie auf 
zwölf abbildungen hinweisen. Nimmt man dazu noch die ge¬ 
nannten neun hinweise des gedichtes, so kann im ganzen aus 
text und Zusätzen auf einundzwanzig abbildungen geschlossen 
werden. Damit ist auch die entstehung der zwischenschriften 
erklärt: Die Schreiber der handschriften konnten es nicht unter¬ 
lassen, eigene bemerkungen hinzuzusetzen, wozu sie zunächst 
herausgefordert wurden einmal durch die abbildungen selbst, 
und dann durch den leeren raum, der um dieselben herum 
vorhanden war. Da sich diese bemerkungen nicht ausschliess¬ 
lich auf abbildungen zu beziehen brauchten, so ist es übrigens 
immerhin möglich, dass für die londoner handschrift noch mehr 
bilder in aussicht genommen waren als die nachgewiesenen ein¬ 
undzwanzig. Hiermit begnügten sich jedoch die Schreiber nicht, 
sondern setzten auch an anderen stellen nach gutdtinken noch 
bemerkungen hinzu, meist ohne sich viel darum zu kümmern, 
ob dieselben mit der dichtung übereinstimmten, oder nicht. 
Hierzu kommt noch die einleitung, welche der Schreiber der 
Vorlage über das werk Philipp’s und dessen inhalt dem ganzen 
voransetzte. 

Was das versmaass Philipp’s angeht, so ist der Computus 
durchgehends in sechssilbigen versen geschrieben, der Bestiaire 
jedoch nur zum grössten teile, indem gegen das ende hin 
(vers 1413 bei Wright = 125,3) der dichter plötzlich erklärt, 
dass er, um seine rede besser anzuordnen, sein versmaass 
ändern wolle, und von da ab bis zum Schluss sich der acht- 
silbigen reimpaare bedient. Der gebrauch des sechssilbigen 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


28 


versmaasses hat, wie wir an anderer stelle schon angedeutet 
haben, auf den Stil Philipp’s den nachteiligsten einfluss aus¬ 
geübt. Um den reim zu ermöglichen, werden eine grosse an- 
zahl von flickwörtern, formelhaften ausdrticken und stereotypen 
Wendungen gebraucht, und die kürze des verses hemmte den 
satzbau und die logische aneinand^rreihung der Sätze. Der 
sechssilbige vers musste deshalb für Philipp äusserst unbequem 
sein, und so hat er sich noch in letzter stunde veranlasst ge¬ 
fühlt, sein metrum zu ändern. Dass dasselbe in sechssilbigen 
versen bestehe, hat keineswegs zu allen Zeiten unbestritten 
festgestanden (vgl. Hist. Litt. t. XIII, s. 62; Mall s. 25 f.). Da in 
der handschrift C die verse als langzeilen geschrieben sind, 
so meinte de la Rue (Essais II, 46 ff.), dass nicht ein vers mit 
dem andern reime, sondern die eine hälfte des verses mit der 
anderen. Wright behielt demgemäss die anordnung der verse 
in der handschrift C bei, als er dieselbe zum druck brachte, 
und somit war in die französische poesie ein zwölfsilbiger vers 
mit mittelreim eingeführt, der trotzdem, dass er in seiner art 
einzig war, hervorragende Verteidiger fand. Schon die Histoire 
Litteraire (XIII, 61 f.) machte jedoch gegen diese versart be¬ 
denken geltend, und durch die forschungen eines Diez und 
Du M6ril ist der vers Philipp’s endgiltig als der sechssilbige 
erwiesen worden. 

Derselbe zeigt, so wie er uns überliefert ist, den vollen 
reim. Da aber neben den reimen sich auch assonanzen finden 
und ‘die durchführung genauer reime zur Vernachlässigung 
grammatikalischer regeln nötigt’, so könnte es zweifelhaft er¬ 
scheinen, ob der dichter reime beabsichtigt, oder ob er sich 
überhaupt mit der assonanz begnügt habe, in welchem falle 
die durchführung genauer reime den Schreibern der hand- 
schriften zuzuschreiben sei. Mall (s. 27 f.) hat jedoch für den 
Computus und damit auch für den Bestiaire den beweis er¬ 
bracht, dass Philipp reime schreiben wollte und ihnen manche 
grammatische regeln gern opferte; dass er zwar assonanzen ge¬ 
legentlich zuliess, jedoch nur als reste eines älteren gebrauchst 

Es ist ferner das unbestrittene verdienst Mall’s, alle wesent¬ 
lichen punkte in Philipp’s spräche eingehend erörtert zu haben. 

1 So ist im Bestiaire die assonanz beste : estre durch den häufigen 
gebrauch als echt erwiesen (vgl. z. b. 82, 12; 86, 10; 89,10;,92, 8; 94,12; 
96,5; 97,10; vgl. auch estre : lempeste 98,20; desire:prise 76,10). 


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24 


MANN, 


Allerdings hat seine darstellung in der hauptsache nur die 
spräche des Computus im äuge, allein die sprachlichen Ver¬ 
schiedenheiten zwischen diesem werke und dem Bestiaire sind 
verhältnissmässig so geringe, dass nur in wenigen punkten eine 
anwendung auf den Bestiaire nicht stattfinden könnte. 

Der grund hierfür liegt darin, dass die beiden dichtungen 
Philipp’s zeitlich nicht weit auseinander liegen, und zwar ist 
der Computus vor dem Bestiaire geschrieben, nämlich entweder 
1113 oder 1119, wie dies Mall (s. 20 ff.) mit neuen gründen er¬ 
wiesen hat. 

Die frage, wann der letztere verfasst ist, lässt sich aus 
dem eingange der dichtung ungefähr entscheiden. Dieselbe 
ist nämlich gewidmet der gemahlin Heinrich’s I. von England, 
Aelis de Louvain, deren hochzeit im jahre 1121 stattfand. Nach 
diesem jahre ist also der Bestiaire geschrieben, und da diese 
Adelheid ‘reine corunee’ genannt und der tod Heinrich’s I. nicht 
erwähnt wird, so fällt er noch vor 1135, wahrscheinlich noch 
in die zwanziger jahre, sodass man rund 1125 ansetzen kann. 

II. Die quellen des Physiologus des Philipp von Thaün. 

1, Von den quellen im allgemeinen. 

Von allen Schriften, welche Philipp im Physiologus als 
quellen citiert, nehmen die bücher der Bibel den ersten platz 
ein, und zwar werden citiert: 

Genesis: 107,4. Deuteronomium: 112,0. Jesaias: 96,9; 97,24. Jeremias: 

95,3; (97, 24); 109,7; 125,20. Daniel: 126,10. David: 83,10; 93,21; 

97,18; 100,2; 106,8; 110,23; 123,4; 123,14. Salomon: 83,14; 88,21; 

91,11; 97,5. Petrus: 130,1; 130,5. Paulus: 90,11; 97,19; 129,22. Jo¬ 
hannes: 129,23. ‘Letre divine’: 100,25. ‘Paissiun’: 79,10. ‘Auctorit6’: 

122,4. ‘Devin (divin)’: S4,4; 119, 16. ! ‘Nostre lai’: 95,1; 97,23. 

Ferner citiert er eine quelle mit den Worten: ‘si cum truvum 
escrit 9 (.. rnustre Vescrit) oder unter dem namen ‘EscriV in den 
versen: 

78,16; 94,22; 97,28; 106,11; 111,18; 112,22; 122,15; 124,5. 
Darunter ist mit ausnahme von zwei fällen die Heilige Schrift 
zu verstehen. Diese zwei fälle aber sind 94,22 und 97,28, 
in denen Philipp andere quellen gemeint hat, und zwar im 


1 Auf welche bibelstellen Philipp mit diesen citaten verweist, wird 
am betreffenden orte bei der speziellen quellenuntersuchung angegeben 
werden. 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


25 


ersten falle seine Vorlage, den Physiologus, und im zweiten 
Isidor (siehe unter Isidor). 

Häufig wird auch als quelle ‘Escripture’ und ‘Saint Escri- 
pture 9 angegeben, und zwar in den versen: 

75,29; 76, 5 S.E.; 77,11; 83,28 S.E.; 84,21; 86,17; 88,16; 88,26; 89,13; 

90.2 S.E.; 90,18; 95,10; 95,15; 96,4; 107,19; 108,14; 114,1; 120,6. 
Man sollte meinen, dass Philipp darunter die Heilige Schrift 
verstehe; aber aus dem zusammenhange, in dem die betreffen¬ 
den verse mit den übrigen stehen, geht hervor, dass Philipp 
mit zwei ausnahmen (88,16 und 89,13) nicht auf die Bibel, 
sondern auf seine Vorlage verweist, und in einem falle (95,15) 
sogar auf Isidor (siehe unter Isidor). — Eine ‘Auctorite’ citiert er 
an sieben stellen: 

81,7; 88,19; 90,17; 94,1; 119, 19; 122,4. 

In den letzten beiden versen ist die Bibel darunter zu ver¬ 
stehen (siehe oben), in den übrigen aber, wie sich ebenfalls 
aus dem zusammenhange ergibt, seine Vorlage, der Physio¬ 
logus. — Isidorus wird zehnmal als quelle citiert und zwar in 
den versen: 

86,11; 90,6; 92,1; 92,12; 93,14; 100,27; 101,17; 113,21; 116,15; (120,6). 
Wir werden weiter unten sehen, wie weit Isidor als quelle ge¬ 
dient hat. 

' Als eine hauptquelle erscheint der ‘Phis(i)ologus’, welcher 
citiert wird in den versen: 

85,6 beim Hydrus; 86,8 desgleichen; 95,5 bei der Hyäne; 95,21 bei 
der Mustelete; 97,7 beim Salamander; 98,29. 100,20 beim Elephanten; 
105, 2* beim Igel; 106, 19 beim Wildesel; 110, 14* beim Adler; 112, 8 
beim Caladrius; 114,4* beim Phönix; 122,17 beim Ibis; 125,15 beim 
Magnetstein. 

Daneben wird der ‘ Bestiaire’ citiert in den versen: 

74.2 in der einleitung; 88,15 beim Aptalon; 94,6 beim Castor; 105,18* 
beim Igel; 108, 22 beim Walfisch; 111,25* beim Adler; 114,3* beim 
Phönix; 118,1 bei der Taube; 128,5 beim Unio. 1 

Gegen den Schluss hin wird endlich noch auf den ‘Lapi- 
daire 9 in vers 127, 7 hingewiesen. 

Die allermeisten dieser quellenschriften citiert unser autor 
auf grund seiner Vorlage, wie wir noch erweisen werden; nach 
eigenem wissen aber nur Bestiaire, Lapidaire und in einigen 
fällen Isidor. 


1 Die mit * bezeichneten sind solche artikel, in denen Physiologus 
und Bestiaire nebeneinander als quelle genannt werden. 


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26 


MANN, 


Schon auf den ersten blick muss es höchst auffällig er¬ 
scheinen, dass Philipp ‘Phis(i)ologus * und ‘Bestiaire* nebenein¬ 
ander citiert und demnach als zwei verschiedene werke an¬ 
sieht. Dies tritt noch schärfer hervor, wenn Philipp beim igel, 
beim adler und beim phönix in demselben artikel sowol den 
Physiologus als auch den Bestiaire als quelle angibt 

Fragen wir nach dem gründe dieser merkwürdigen er- 
scheinung, so ist dazu folgendes zu sagen: Nach der zahl der 
im Computus und Bestiaire angezogenen quellenschriften zu 
urteilen, sollte man Philipp ein wahrhaft universelles wissen 
zugestehen; jedoch sind im Computus wie im Bestiaire viele 
derselben nur zum prunke genannt auf grund der hauptquellen- 
schriften. Und so möchte er uns freilich glauben machen, dass 
er die spräche eines Pythagoras kennt wie seine muttersprache 
und bemerkt im Bestiaire sehr oft, wie die tiere, die er be¬ 
handelt, en griu heissen, aber verstanden hat er davon nichts. 
Von einer griechischen Urschrift des Physiologus hat er keine 
ahnung gehabt, und da er aus dem lateinischen worte physio¬ 
logus nicht erkennen konnte, dass es kein eigenname sei, so 
folgte er dem beispiele derer, welche den grossen meister 
‘Fisiolog, einen guten geistlichen aus Athen’ oder den ‘seligen 
Physiologus’ rühmen und wandelt den alten buchtitel in einen 
autornamen um. Dem entsprechend schreibt er häufig z. b.: 


‘D’icest en sun escrit 

Phisologus dit% (98, 29 u. 106,19) 

oder ähnlich: 

‘Phisologus dit de lui 

En sun escrit \ (105,2) 


Was also der Physiologus eigentlich war, hat Philipp gar 
nicht gewusst. Wenn er nun Physiologus und Bestiaire neben¬ 
einander citiert, so ist daraus nicht zu entnehmen, dass er etwa 
zwei redaktionen des Physiologus benutzt habe, von denen die 
eine vielleicht den titel ' Liber Physiologus*, die andere den titel 
‘Liber Bestiarius* geführt habe, sondern als quelle hat ihm Vor¬ 
gelegen eine redaktion, die sich Bestiarius nannte, oder der 
Philipp auf grund einer Überschrift, wie: ‘Liber de natura ani- 
malium*, diesen titel gab. Wie in allen physiologen nun häufig 
bei den einzelnen artikeln nach einigen einleitenden Worten die 
eigentliche darstellung mit der Wendung beginnt: ‘Physiologus 
dicit*, so war es auch in Philipp’s Vorlage der fall. Dieses 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


27 


wort fasste er in der angegebenen weise auf, und so ist ihm 
seine Vorlage eigentlich aus zwei darstellungen hervorgegangen: 
aus dem was der Bestiarius enthält, und aus dem was ‘Physio¬ 
logus’berichtet; der Bestiarius ist ihm gleichsam eine rahmen- 
erzählung zu den berichten des Physiologus. Er citiert diesen 
deshalb nur, wenn seine Vorlage ihn citiert, und nennt in den 
anderen fällen häufig den Bestiaire als quelle. Die Schrift des 
Physiologus ist ihm aber eine Schrift von der grössten autorität 
und würde, die weit über dem Bestiaire und allen anderen 
, Schriften steht. Recht charakteristisch tritt dieses verhältniss 
im artikel vom phönix hervor. Nachdem nämlich Philipp eine 
Schilderung dieses vogels nach Isidor, den er selbst citiert(!), 
gegeben hat, fahrt er fort: 

‘De lui dit Bestiaire % 

Chose que mult est maire, 

E Phisologus 

Dit uncore plus’. (114,3 u. 4) 

Ueber die frage, wie Philipp seine Vorlage benutzt habe, 
gibt uns der anfang seines gedichtes aufschluss: 

‘Philippe de Taun 
En Franceise raisun 
Ad estrait Bestiaire, 

Un livere de gramaire’. 

Der ausdruck *eslraire un livere de gramaire ’ kann zunächst nichts 
anderes heissen als ‘ein wissenschaftliches buch übersetzen’. Da aber die 
spräche der Wissenschaft das Latein war, so bedeutet er weiterhin: ein 
solches buch ‘aus dem Lateinischen in’s Französische übersetzen’, und 
zwar nicht wort für wort, denn solches war bei Philipp schon durch den 
reim unmöglich, aber doch mit möglichst genauem anschluss an das original, 
etwa im sinne unseres Zeitwortes ‘ widergeben \ Für unsere ansicht spricht 
auch, dass Philipp in den versen 127,6 f.: 

‘Ki plus volt saver de ces peres, 

Lur vertuz et lur maneres, 

Si alt lire de Lapidaire, 

Que est estrait de gramaire’, 

das ‘eslraire etc.’ widerum im obigen sinne gebraucht, indem er auf die 
Übersetzung eines lateinischen Lapidarius verweist (s. unter Lapidaire). 
Gaston Paris 1 fasst übrigens in den letzten versen den ausdruck ‘estraire 
de gramaire ’ als selbständigen auf mit der typischen bedeutung ‘aus 
dem Lateinischen in’s Französische übersetzen’, eine ansicht, die völlig 


1 Vgl. L. Pannier, Les Lapidaires Franc, enth. in d. Bibi, de l’Ecole 
des Hautes Etudes. Paris 1882. — Notice Prßliminaire par Gaston Paris, 
S. VII f. 


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28 


MANN, 


ungerechtfertigt ist. Denn folgerichtig müsste er, was er auch tut (vgl. 
s. VIII, anm. 1), die ersten verse so konstruieren: 

‘Ad estrait Bestiaire, 

. Un livre, de gramaire’, 

d. h. eine konstruktion anwenden, welche der weise Philipp’s widerspricht 
und um so gesuchter ist, als der ausdruck ' bestiaire , un livre de gramaire * 
häufig in unserer dichtung widerkehrt (z. b. 105,18; 108,22). Aber auch 
fiir v. 127,7 stimmt Gaston Paris’ ansicht nicht; denn das de in { estraire 
de gramaire * steht offenbar für das heutige par, was uns die verse be¬ 
stätigen : 

‘En un livere dit de gramaire, 

Que nus apelum Bestiaire’. (128,5) 

Philipp hat also mit seinem Bestiaire lediglich eine Über¬ 
setzung geliefert und muss sich genau an seine Vorlage an- 
ges^lossen haben. Da ferner Philipp den Bestiarius (bezw. 
Physiologus) auch bei den vögeln und steinen als quelle angibt, 
so ist dieser Bestiarius nicht als tierbuch im eigentlichen sinne 
des Wortes anzusehen, sondern im weitern sinne als eine christ¬ 
lich-typologische Schilderung der gesammten natur, insbeson¬ 
dere aber des tierreiches, wie wir es eben heute unter dem 
begriffe Physiologus verstehen; das heisst mit anderen Worten: 
Philipp muss einen lateinischen physiologus übersetzt haben, 
welcher sämmtliche von ihm behandelten tiere und steine ent¬ 
hielt, und zwar in derselben reihenfolge wie bei ihm. 

Eine derartige redaktion kennen wir zur zeit nicht. 

Die älteste uns bekannte lateinische recension stammt aus dem achten 
jahrhundert. 1 Sie zählt achtzehn tiere und steine in alphabetischer reihen¬ 
folge und ist von Pitra 2 nach einer pariser handschrift des Gloss. Ansileubi 
ergänzt und auf zweiundzwanzig typen gebracht worden. Von allen späteren 
recensionen unterscheidet sich diese älteste erstens dadurch, dass bei den 
einzelnen typen die hermeneia entweder ganz fehlt, oder durch bibel¬ 
stellen nur notdürftig angedeutet wird, und zweitens dadurch, dass sie 
den löwen nicht behandelt (ein zug, den sie übrigens mit dem syrischen 
physiologus gemein hat!), während in allen anderen Physiologen der könig 
der tiere die reihe der typen eröffnet. 

Es folgen nun eine grosse anzahl lateinischer redaktionen, deren 
einzelne artikel sämmtlich mit allegorien und moralisationen verbrämt 
sind. Je jünger die handschriften sind, desto mehr treten dieselben her¬ 
vor, und desto mehr neue züge werden im allgemeinen der naturgeschicht¬ 
lichen Schilderung hinzugefügt. Von diesen redaktionen stehen der ältesten 
Pitra-Mai’schen am nächsten und sind für unsere Untersuchung die wich¬ 
tigsten diejenigen, welche in einer brüssler, einer göttweiher und zwei 


1 Ed. A. Mai, Class. auct. t. VII, s. 589 — 596. 

2 Vgl. Pitra, Spicüeg. Solesm. t. III, s. 418 ff. 


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THAÜN’S PHYSIOLOGUS UND SEINE QUELLEN. 29 

berner handschriften enthalten sind. Der text des brtissler und der 
berner physiologen ist mit einleitung und anmerkungen herausgegeben 
von Cahier. 1 

Mit A bezeichnet Cahier (vgl. t. II, s. 90 f.) einen physiologus aus 
dem manuskript no. 10074 der kgl. bibliothek zu Brüssel, welcher aus dem 
10. jahrhundert stammt, sechsunddreissig typen zählt und gute abbildungen 
zeigt. Der onager wird zweimal behandelt, unter no. XVII nnd XXVI. 
Der erste artikel gründet sich darauf, dass er zur zeit des äquinoctiums 
schreit, während der artikel XXVI seine eifersucht behandelt. Nach der 
vulpes (XII) ist die handschrift im 13. jahrhundert interpoliert oder repa¬ 
riert worden, während nach dem herinatius (XXX) sich ein fragment 
eines artikels vom ibis zeigt. Daraus, wie überhaupt aus der neigurig 
des Schreibers, abzukürzen, geht hervor, dass A eine unvollständige wider- 
gabe seiner Vorlage ist. 

B gehört der handschrift no. 223' (8. jahrh.) der berner bibliothek an 
und zählt auf dreizehn folioseiten zweiunddreissig artikel unter dem titel: 
‘liber fisiolo to exposito (to exposito wahrscheinlich Verstümmelung von 
TO Chrysostomi) de natura animalium vel avium seu bestiarum’. Das in 
majuskeln geschriebene TO hat übrigens früher Veranlassung gegeben, 
diesen physiologus für einen Theobald zu halten 2 , was ganz unberechtigt 
ist, da der sogenannte Physiologus des Theobald nur zwölf tiere und zwar 
in versen behandelt. * 

Die redaktion C findet sich als drittes stück der pergamenthand- 
schrift no. 318 der berner bibliothek auf fol. 7 a bis fol. 22 b . Sie gehört 
dem 9. jahrhundert an und beginnt ohne titel mit den Worten: ‘est leo 
regalis omnium animalium et bestiarium\ 3 

Mit G bezeichnen wir einen dem Joh 8 Chrysostomus zugeschriebenen 
‘Bestiarius’ (!) (zu ergänzen: ‘über’) aus dem 11. jahrhunndert, welcher in 
der pergamenthandsclirift 101 des klosters Göttweih auf neun blättern in 
grossquart enthalten ist und zwar unter dem titel: ‘Jo. Crisostomi dicta 
de naturis animalium \ Er behandelt siebenundzwanzig tiere, von denen 
fast alle in farbigen linienumrissen abgebildet sind, manche sogar doppelt 
oder dreifach. Einigen darstellungen gehen ein oder zwei verse von ver¬ 
schiedenem maasse voraus. Auch dieser physiologus ist nur eine unvoll¬ 
ständige widergabe seiner Vorlage, denn mit den artikeln von der autula 
und dem onager sind am Schlüsse fragmente der artikel von den ‘Lapides 


1 Vgl. Cahier und Martin, Mälanges d’Archeol., d’Hist. et de Litter. 
Paris 1851. Introduction: t. II, s. 85 —100; Textes: t. II, s. 106 — 232; 
t. III, 1853, s. 203 —288; t. IV, 1856, s. 55 — 87. — Mit abbüdungep im 
zweiten bande. 

2 Sinner (vgl. catal. cod. manuscript. bibl. Bern. t. I, s. 128) setzte 
nämlich zu dem angegebenen titel in parenthese: ‘Forsitan Theobaldi’, 
was die Hist. Littßr. (t. XIII, s. 61) und Roquefort (a. a. o. s. 203) veranlasste, 
diesen physiologus flottweg als Theobald zu citieren. Der neue katalog 
von Hagen (s. unten) begnügt sich übrigens statt jenes Forsitan etc. mit 
einem einfachen sic. 

3 Vgl. H. Hagen, catal. cod. Bernens. Bern 1874; 1.1, s. 277; t. II, 
s. 325. 


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30 


MANN, 


Terrebuli’ bezw. dem ‘Simia’ vermengt, was übrigens dem herausgeber 
dieses Bestiarius, Heider, entgangen ist. 1 

Die oben genannten vier redaktionen, besonders aber A und daneben 
B G, sind die für unsere quellenuntersuchung wichtigsten redaktionen. 
Ehe wir dies jedoch nachweisen, wollen wir noch auf alle diejenigen 
aufmerksam machen, auf die wir im laufe unserer Untersuchung ge- 
stossen sind. 

Von G befinden sich in der klosterbibliothek selbst noch zwei ab- 
schriften aus dem 14. jahrhundert, die eine von Seite 55 a ab im Codex 
no. 200 des stiftskatalogs, die andre als fünftes stück im codex no. 154. 
Auch die wiener hofbibliothek besitzt von G zwei abschriften aus dem 
12. und 13. jahrhundert. 

Auf zwei bisher unbekannte Physiologen der leipziger Universitäts¬ 
bibliothek, welche wir mit und L 2 bezeichnen, hat herr oberbibliothekar 
Dr. Förstemann die güte gehabt, uns hinzuweisen. L, gehört als zehntes 
stück dem Cod. membr. 351 aus dem 13.jahrh. an, wo er sich von fol. 
128 a bis 133 b findet. Jeder der dreiunddreissig artikel trägt eine rot ge¬ 
schriebene Überschrift. — La aus dem 13. oder 14. jahrh. findet sich unter 
dem titel: ‘De natura animalium mistice’ als drittes stück der papier- 
handschrift 1305 von fol. 54 b bis fol. 63 b . Die initialen, die titel und 
das wort *physiologus wo es in dem betreffenden artikel zum ersten 
male genannt wird, sind mit roter färbe geschrieben. Beide leipziger re¬ 
daktionen stimmen wörtlich mit G überein, und unterscheiden sich nur 
dadurch, dass sie Onager und Simia, aus einander halten und schliesslich 
noch hinzufügen: de symia, de vulture, de hirundine, de ceto, de lapide 
pyropoli, de lapide Agathi, de lapide adamantino. Auch lässt Lj den Perdix 
aus, La den Caradrius. 

Nahe verwant mit G ist ferner nach den proben, die wir davon 
haben, ein physiologus aus dem 12. jahrh., den wir mit W, bezeichnen, 
und welcher sich als zwölftes stück von fol. 159 a an in dem Cod. Guel- 
ferbytanus Gud. 131 der herzogl. braunschweigischen bibliothek zu Wolfen¬ 
büttel findet. Er führt den titel: ‘über de animalibus’, zählt dreiunddreissig 
typen und schliesst mit denselben Worten, wie L, und L^. — Wie W, war 
ebenfalls bisher unbekannt ein physiologus W 2 , welcher in dem Cod .Gud. 
148 derselben bibliothek enthalten ist. 

Von einem physiologus T aus einem Cod. Toletanus sind zwei artikel, 
‘de leone’ und ‘de charadrio’ abgedruckt von Arevalo. 2 

In’s 12. jahrh. ist ausser W t noch zu setzen der in der handschrift 
Burney 327 des britischen museums enthaltene Bestiarius. 

In’s 13. jahrh. fallen die redaktionen, welche sich finden in den hand; 
Schriften: 

. I Bibi, du roi, mss. lat 2780 
ans l „ supplem. lat 292 bis. 

(Von Cahier mit D und E bezeichnet.) 

1 Vgl. Heider in: Archiv ftir die Kunde österr. Geschichts-Quellen, 
3. jahrg., 2. bd. 1850; s. 552—582. Mit einleit. s. 541 —551. Für das eben 
bemerkte vgl. speziell s. 548. 

2 Vgl. S. Isidori opera omnia. Ed. Arevalo t. IV, p. 521 f. 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


31 


2. C. XII (Old royal coli); ^ 

des britischen museums. 

Harl. 4751.* j 

Cott. Vespasian E. x. ) 

Aus dem 14. jahrh. stammen die folgenden, enthalten in den hand- 
schriften: 

Harl. 3244 (vgl. Catal. III, s. 11); 

Slo. 278; 

Slo. 3544; des britischen museums. 

Arund. 506; 

Roy. 16. E. VIII; 

Wir schliessen hier die Physiologen in prosa der kgl. hof- und Staats¬ 
bibliothek zu München an 2 : 

M,: fol. 29—70 der hs. 19417 membr. 8°, s. IX (vgl. t. IV, p. III, s. 244). 

M 2 : fol. 172—183 der hs. 14388 membr. in 4°, s.IX etX (vgl. IV, II, 165). 

M 3 : fol. 66—80 der hs. 536 membr. 4°, a. 1143—47 (vgl. HI, I, 113). 

M 4 : fol. 111—116 der hs. 14693 membr. in 4°, s. XII (vgl. IV, II, 219). 

M 5 : fol. 78—85 der hs. 6908 membr. in 2°, s. XIII (vgl. III, III, 127). 

M 6 : fol. 246—253 der hs. 14348 membr. in 2°, s. XIII (vgl.IV, II, 160). 

M 7 : fol. 129—140 der hs. 4409 membr. et chart. 4°, s. XII—XIV; fol. 188 

bis 198 idem qui fol. 129 (vgl. III, II, 161). 

M 8 : fol. 114—120 der hs. 3221 membr. in 12°, s. XIV (vgl. III, H, 69). 

M 9 : fol. 127—134 der hs. 9600 membr. 8°, s. XIV, (vgl. IV, I, 108). 

M 10 : fol. 151—153 der hs. 19037, 8°, a. 1477 (vgl. IV, III, 230). 

M n : fol. 235 ff. der hs. 1222, s. XV (vgl III, I, 181). 

M 12 : fol. 180—183 der hs. 5613, 2<>, s. XV (vgl. HI, IH, 29). 

M 13 : fol. 13—17 der hs. 14216, 2°, s. XV (vgl. IV, II, 145). 

M t4 : fol. 180—194 der hs. 19648, 4°, s. XV (vgl. IV, III, 263). 

Mj 5 : fol. 12—19 der hs. 23787, 2°, s. XV (vgl. IV, IV, 93). 

Da keine der genannten redaktionen die Vorlage Philipp’s sein kann, 
so fragt es sich, welcher derselben der text Philipp’s am nächsten steht. 
Es ist schon angedeutet worden, dass für diese Untersuchung die wich¬ 
tigsten redaktionen A B C Gr sind. Dieselben stellen sich nach einer 
genauen Vergleichung unzweifelhaft als bearbeitungen ein und derselben 
Vorlage heraus. Am freiesten ist mit dieser C umgegangen, indem C nur 
ein magerer auszug von ihr ist. A B stimmen in den allermeisten artikeln 
wörtlich überein, etwlas kürzer und manchmal abweichender verhält sich G. 
Die älteste und hervorragendste dieser redaktionen und diejenige, welche 
den besten text bietet, ist A. Von ihr behaupten wir und werden es 
in der speziellen quellenuntersuchung erweisen, dass uns durch sie der 
text der Vorlage Philipp’s im wesentlichen erhalten ist. Wie keine andere 
nähert sich A derselben, sowol im ausdruck wie in der zahl der lypen 

1 Vgl. Catalogue of the Harleian manuscripts. London 1808. III. s. 198. 

2 Vgl. Cat. cod. manuscr. bibl. reg. Monac. comp. Halm et Lau Wann. 
Monachii 1868. 


14 . 

12. F. XIII 
Arund. 298; 


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32 


MANN, 


(die taube z. b. fehlt in allen anderen) und ausserdem auch darin, dass A 
abbildungen hat. Es darf ferner nicht übersehen werden, dass A, wie 
sich an vielen stellen deutlich zeigt, selbst widerum nur eine unvoll¬ 
ständige widergabe ihrer Vorlage ist, sodass diese der Vorlage Philipp’s 
also noch näher stehen würde. Unserer Untersuchung legen wir demnach 
A zu gründe; wo aber A nicht ausreicht, halten wir uns nach dem gesagten 
berechtigt, seinen text aus B(C) G zu ergäuzen. — Auf die genannten 
redaktionen gründen sich auch, wiewol unbewusst, die bisherigen angaben 
über die Vorlage Philipp’s. 

Die erste angabe hierüber findet sich in der Histoire Littßraire XIII, 63. 
Der Verfasser des artikels über Philipp von Thaün gibt den von Cahier 
als B bezeichneten physiologus no. 233 der berner bibliothek aus dem 
9. jahrh. als quelle Philipp’s an. Aber auch dies ist unmöglich. Wäre 
es der fall gewesen, so hätte Philipp nicht Physiologus und Bestiaire 
nebeneinander citieren können, da diese redaktion selbst schon den titel 
‘über fisiolo’ führt. Ausserdem reicht die zahl der typen nicht aus, und 
da Philipp lediglich übersetzte, so spricht noch dagegen, dass er in 
einzelnen typen wesentlich abweicht und nicht einmal in der Schreibung 
des namens Physiologus (‘Fisiolocus’) übereinstimmt, was der fall sein 
müsste, da B als direkte quelle bezeichnet wird. Trotzdem nun die 
obige Vermutung ohne jegliehe kenntniss vom Physiologus überhaupt, wie 
von B im besonderen ausgesprochen wurde (B wird für einen Theobald aus¬ 
gegeben !), so hat sie doch nach dem oben gesagten etwas richtiges an sich. 

Wright (a. a. o. s. XIII) verweist auf den Bestiarius hin, welcher im 
Bumey-ms. 527 des britischen museums enthalten ist. Er hat nun den¬ 
selben teilweis mit Philipp’s gedieht verglichen und ‘einige partieen fast 
wörtlich übereinstimmend’ gefunden, weshalb er vermutet, dass er Philipp 
als quelle Vorgelegen habe. Dies ist aber absolut unmöglich. Philipp’s 
Vorlage muss vor 1100 entstanden sein, das Burney-ms. ist aber erst in 
der mitte des 12. jahrhunderts entstanden. Nun könnte dasselbe aller¬ 
dings nur eine abschrift eines früheren Bestiarius sein und Philipp könnte 
diesen letzteren benutzt haben. Aber dagegen spricht wider, dass er ihn 
nur auszugs- nnd auswahlweise übersetzt haben könnte, und es wäre 
höchst auffallend, dass er aus einem so umfangreichen und aus allen mög¬ 
lichen Schriften zusammengetragenen werke gerade diejenigen züge heraus¬ 
geschält haben sollte, welche sich in den frühesten lateinischen redaktionen 
dargestellt finden. 

Die angabe Wright’s, dass einzelne teile dieses Bestiarius mit der 
diehtung Philipp’s übereinstimmen, ist aber richtig und erklärt sich daraus, 
dass in die darstellung dieses Werkes ein Physiologus verwebt ist, was aller¬ 
dings Wright bei dem damaligen stände der kenntniss vom Physiologus 
nicht wissen konnte. 

Nach unserer Untersuchung stellt sich dieser Wright’sche Bestiarius, 
den wir mit Lo bezeichnen, als eine Compilation dar aus einem Physiologus, 
aus Plinius’ Historia Naturalis, aus Solin’s Polyhistor und IsidoPs Etymo- 
logiae, kurz, im allgemeinen als eine müssige anhäufung von ungeniess- 
baren naturwissenschaftlichen armseligkeiten, in denen sich das mittel- 
alter so sehr gefiel. Am stärksten benutzt sind Solin und Isidor, welche, 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


33 


wie auch der Physiologus, citiert werden, während die anlage des ganzen 
aus Isidor stammt. 

Der Physiologus aber, welcher darin enthalten ist, stimmt in den 
meisten typen wörtlich mit A, in wenigen wörtlich mit B und G überein! 
Da nicht anzunehmen ist, dass der Verfasser verschiedene redaktionen zur 
hand gehabt habe, so sehen wir hierin eine bestätigung unser ansicht, dass 
A B(C) G verschiedene bearbeitungen einer gemeinsamen Vorlage sind. 

In der genannten pergamenthandschrift (grossoktav, 42 blätter) findet 
sich der Bestiarius nach dem ‘über differentiarum’ Isidor’s von fol. 12—42. 
Von fol. 37 b —42 bilden den inhalt beschreibungen von bäumen, früchten 
und teilen des menschlichen körpers, d. h. artikel, die jedenfalls identisch 
sind mit den kapiteln Isidor’s: ‘de homine, et partibus ejus’ (Etym. XI, I) 
und ‘de arboribus’ (XVII, VI). Das äussere der handsehrift anlangend ist 
der text in zwei reihen auf jeder Seite geschrieben, die initialen sind ab¬ 
wechselnd rot, grün und blau gemalt, und zwischen vielen artikeln ist 
raum gelassen, wahrscheinlich für abbildungen. 

Von demjenigen teile, welcher sich auf fol. 12—28 findet, ist eine 
abschrift in unserem besitz. Er enthält folgende tiere, und zwar ist der 
text wörtlich entnommen aus den beigesetzten abschnitten der oben ge¬ 
nannten quellenschriften: 


De Bestiis. Is. 50, 13—51,5. 


I. 1) Leo 


ls. 51,6—8; 51,10—15; 5.1,16t; y ; A*; 



51, 23 f.; ]/ alleg. 51, 24 f.; Sol. 133, 



12 f.; 133,3—10; ]/. 

2) Leontophones 


Sol. 134,18—135, 4. 

3) Tigris 


Is. 52,3—7; (Sol. XVII, 5 — 7)? 

4) Pardus 


, 52,22—24. 

5) Leopardus 


, 52,25—28. 

II. 6) Pantera 

G*; 

, 52, 8—21; (Plinius auf grund von 



Isidor citiert 1) 

III. 7) Antolops 

A*; 


IV. 8) Unicornis 

G*; 

, 53, 4 f. 

9) Lincis (Lynx) 


, 55,13 f.; 55,15—56, 2. 

10) Grifes(Gryps!) 


, 55,1-4. 

V. 11) Elephans 

A*; 

, 53,11—54,4; 54,6; 54,8—10; 54,1 lf.; 



54,14—16; A; (Solin XXV, 9)? A; 



|/; Sol. 125,6—126,6. 

VI. 12) Castor 

G*; 

. 56,3. 

13) Ibex. 


, 41, 9—13; ^allegorie. 

VII. 14) Yena 

A*; 

Sol. 135, 7—17, (Solin citiert); A; Sol. 



135, 20-136,6. 

15) Cocrote 


Sol. 136,6—11. 

16) Bonnacon 


, 186,4—12. 

VIII. 17) Simie 


Is. 58, 10—14, (PL VIII, 216)?; A; Is. 


58,7—10; Sol. 143, 8—15. 
18) Satiri Sol. 143, 15—20. 


3 


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34 


MANN, 


IX. 19) Cervi Is. 41,14—23; )/; G; Sol. 105,17—106,8; 106, 

9—11; 107,12-15; 106,21 f.; 106,11—14; 
Is: 41, 27 f.; Sol. 104,7—11. 

X. 20) Caper , 41,1—3. 

21) Caprea (PL VIII, 203, XI, 141, XX, 104)?; ^allegorie. 

22) Monoceros SoL 210, 16—211, 3. 

23) Ursus Is. 56,10—17; (PL XXVIII, 214)?; Sol. 128,20-129, 

10; 129,12—19; 129, 21—130,3. 

24) Leucrota Sol. 209,8—13. 

25) Crocodillus Is. 78, 13—79, 2; Allegorie. 

26) Manticora Sol. 210, 6—13. 

27) Parandrum Sol. 150, 20—151, 6. 

XI. 28) Vulpis Is. 58, 2 f.; A. 

29) Eale Sol. 209, 14—20. (SoL citiert). 

30) Lupi Is. 56, 18-22, SoL 43, 15 —18; y alleg.; Is. 57, 

3-6; SoL 151, 12—15. 

31) Canis Is. 57, 7—16; SoL 94, 7—9; 94, 4—7; 94, 10—16; 

]/ alleg.; Is. 57, 19—58, 1; ]/ alleg. 

De Pecoribus et Iumentis. Is. 38, 1—39,12. 

32) Ovis Is. 39, 13—17; 

33) Vervex „ 39, 18—25. 

34) Agnus „ 40, 1—4; 

35) Hircus „ 40, 7 — 12 (Sneton auf grnnd Isidor’s citiert). 

36) Haedi „ 40, 5 f. 

37) Aper , 43, 8—10. 

38) Juvencus , 43, 11—14. 

39) Taurus „ 43, 15; SoL 210,1—5. 

40) Bos „ 43, 19 f.; 43, 23-25; 1/. 

41) Uri „ 44, 9-11; SoL 210,14 f. 

42) Bubali „ 44,6—8. 

43) Vacca et Vitulus Is. 44, 1—5. 

44) Camelus Is. 44, 12—15; Sol. 200, 16—201, 16. 

45) Dromedarius „ 44, 18—45, 5. 

46) Asinus „ 45, 6—10; 45,16—18. 

XII. 47) Onager „ 45, 11—15; A; (Physiol. citiert). 

48) Equi ) ,; 45, 19—46,7; SoL 193, 10-19; 193, 22—194, 

I 1; 194, 4—6; 194,13—18; 195, 4—17; Is. 

j 46, 7—12; 46, 15—48, 4; 48, 7—49, 6; 49, 

49) Mulus ) 7-50,12. 

De minutis animalibus. 

Is. 60, 7—11. 

Is. 60, 16—61,4. 

„ 61,8; B; 

„ 62, 1-4. 

„ 62,8-14. 

A*. 


50) Musio 

51) Mus 

XIII. 52) Mustela 

53) Talpa 

54) Ericius 

XIV. 53) Formica 


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THAÜN’S PHYSIOLOGUS UND SEINE QUELLEN. 


35 


De avibus. Is. 87, 8—14; 87, 17—88, 26. 


XY. 56) Aquila 

57) Fiüica 

58) Vultur 

59) Grues 

60) Psitacus 
XVI. 61) Caladrius 

62) Cyconia 

63) Olor 
XYII. 64) Ybis 

XVIII. 65) Assida 
XIX. 66) Fulica 
67) Altion 
XX. 68) Fenix 

69) Cinnamolgus 

70) Erciniae 
XXI. 71) Epopus 

XXII. 72) Pellicanns 
73) Noctua 

XXIII. 74) Nyctiocorax 
XXIV. 75) Cirene 
XXV. 76) Perdix 

77) Pice 

78) Picus 

79) Accipiter 

80) Lucinia 

81) Vespertilio 

82) Corvus 


Is. 88, 27—89, 2; A; Is. 89, 3—6. 

i i 

Is. 89, 7—13; yalleg. 

Is. 89,17 SoL 77, 5—13; 77,21—78,2; 

V-, 3-7. 

, 92, 1—6; SoL 211, 19—212,7. 

A; (Physiol. citiert!) 

Is. 89, 27—90, 8. 

„ 90,9—21. 

„ 94,3—5. B; 

A*; 

G. 

V 

„ 91,10—16; A. 

„ 91,17—23. 

„ 93, 19—23; (Hereyniae aves!) 

A. 

„ 92, 12 f.; A*; 

„ 95, 12—16, 

„ 95, 17 f.; A*; 

A. (Physiol. citiert!) 

Is. 100, 4—9; A*; Sol. 67, 4—23. 

„ 96, 19—97, 5. 

„ 97, 6—10. 

„ 98, 16-97, 4; |/. 

„ 94,16 f.; y. 

„ 94,11-15? 1/; 

„ 96, 3—8. 1 


Nach dem Corvus (fol. 30) folgen, wie mir herr Richard Sims vom 
britischen museum mitzuteilen die güte hatte: Fornis (Cornix) Columba, 
Turtur, Hirundo, Coturnices, Pavo, Gallus, Anas, Apes, Anguis, Draco, 
Basiiicus, Vipera, Scorpio, Boas, Lacertus, Salamandra, Stellio, Serpens, 
Vermis, Pices, Serra, Cococrillus (f. 37 1 >). Darauf folgen die schon ge¬ 
nannten beschreibungen von bäumen, früchten und teilen des mensch¬ 
lichen körpers. 


1 Hierzu sei bemerkt, dass ein beigefdgter * bedeutet, dass die be¬ 
treffende stelle nicht ganz vollständig widergegeben ist; ein ? hingegen 
gibt an, dass die stelle im Bestiarius nur an die citierte stelle erinnert. 
Partieen, für welche wir keine quelle aufgefunden haben, sind mit y be¬ 
zeichnet; sind dieselben allegorisch gehalten, so steht dafür \j alleg. Die 
arabischen Ziffern bei den citaten aus Is. una Sol. nennen die seiten und 
zeilen der ausgabe Isidor’s von Arevalo, bd. IV, sowie der ausgabe Solin’s 
von Mommsen. Die Ziffern in klammern haben gewöhnliche bedeutung. 


3* 


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36 


MANN, 


2. Von den quellen im besonderen, 
a) Philipp’s Vorlage. 

Wenn wir im folgenden den Physiologus Philipp’s mit A, 
bezüglich wo A nicht ausreicht, mit den A am nächsten stehen¬ 
den redaktionen vergleichen, um zu sehen, wie weit uns der 
text der Vorlage Philipp’s durch dieselben erhalten ist, so kann 
das resultat dieser Vergleichung auf dreierlei weise dargelegt 
werden, von denen jede ihre vorteile und nachteile hat. 

Das nächstliegende wäre, die im lateinischen und alt¬ 
französischen Physiologus übereinstimmenden partieen neben¬ 
einander zu stellen, die punkte, in denen der eine dem andern 
wörtlich folgt, durch gesperrten oder kursiven druck noch be¬ 
sonders hervorzuheben und endlich die etwaigen abweichungen 
in nachfolgenden bemerkungen zu behandeln. — Diese me- 
thode hat den nachteil, dass der des neudrucks nicht würdige 
Wrigth’sche text zum allergrössten teil wider zum abdruck 
gebracht würde. 

Ein anderer weg könnte dadurch eingeschlagen werden, 
dass man die übereinstimmenden partieen deutsch widergibt, 
und die abweichungen darauf behandelt. — Der nachteil dieser 
weise besteht darin, dass es mitunter geradezu unmöglich ist, 
die redeweise mittelalterlicher latinität und unbeholfener franzö¬ 
sischer diktion angemessen in deutscher spräche widerzugeben. 

Die dritte methode könnte darin bestehen, dass man in 
betreif der Übereinstimmung auf dichtung und quelle selbst ver¬ 
weist und nur die Verschiedenheiten der texte erörtert. Sie 
empfiehlt sich durch ihre kürze, hat aber den nachteil, dass 
jeder, der sich von der Übereinstimmung ein bild machen will, 
die quellen selbst zu rate ziehen muss. 

Für unsere vorliegende Untersuchung dürfte es geboten sein, 
je nach erforderniss die eine oder die andere methode anzu¬ 
wenden, da die Übereinstimmung Philipp’s mit den oben ge¬ 
nannten redaktionen sehr verschieden in den einzelnen artikeln 
ist, manchmal eine wörtliche, manchmal aber auch eine solche 
geringe, dass von einer Übereinstimmung kaum die rede sein 
kann. Im letzteren falle muss naturgemäss die dritte methode 
angewendet, in allen übrigen fällen, wo Übereinstimmung vor¬ 
handen ist, die erste oder die zweite. Wir beginnen mit dem 
löwen, indem wir uns da der ersten methode bedienen. 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 37 

1« Löwe» 

Die verse 75,1—3: ‘Ceo que en Griu est leun* etc. stammen aus den 
etymologieen Isidor’s (siehe unter Isidor b, 1). 

Die verse 75,4—8 und 75, 12—23 finden sich schon im Computus 
(siehe unter Comp.). Doch sei hier erwähnt, dass uns die verse 75,7 f.: 
‘E le gambe ad plates 
Juste les pez aates; 

Les pez ad gros cupefz* 

lebhaft an eine stelle aus der beschreibung des rosses des erzbischofs 
Turpin im Rolandsliede erinnert, wo es heisst: 

‘Li destrers est e curanz e aates 

Piez ad copiez et les gambes ad plates*. V. 1651 f. 

Die verse 75,9: 

‘Quant faim ad u maltalent, 

Bestes mangue ensement* 

erklären sich wol aus dem bilde, das man vom löwen in der Vorstellung 
hatte. Der folgende vers (75,10): 

‘Cum il cest asne fait, 

Ki rechane e brait’ 

passt zu dem was Lo auf grund von Plinius VIII, 52 berichtet: 

‘Leo aeger simiam quaerit ut devoret*. 

Für die verse 75, 25 — 76, 4 haben wir nirgends einen anhalt ge¬ 
funden. 

Die verse 76,6—19 finden sich schon im Computus (s. u. Comp.). 
Für die verse 76,20—77, 10 fehlt uns die quelle. Der naturgeschicht¬ 
liche teil (76, 20- 22) erinnert an Plinius VIII, 49: inmota (sc. cauda) ergo 
placido, Clemens blandienti, quod rarum est, crebrior enim iracundia, cujus 
in principio terra verberatur, incremento terga ceu quodam incitamento 
flagellantur. 

Der inhalt der folgenden verse findet sich in A (vgl. Cahier II, 107 ff.): 
‘Uncore dit Escripture 
Leuns ad tele nature, 

Quant l’om le vait chazant, 

De sa cue en fuiant 
Desfait sa trace en terre, 

Que iom ne Vsace querre\ 

Prima ejus natura est ambulat in montibus; et si contigerit ut 
quaeratur a venatoribus, .... de cauda sua cooperit vestigia sua 
quocumque ierit, ut non secutus Venator per vestigia ejus inveniat 
ctibile ipsius. 

Li leuns en fuiant 
Sa trace vait cuverant; 

La trace del leun 
Mustre incarnaciun , 

Que Des volt prendre en terre, 

Pur noz ames conquere. 


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38 


MANN, 


E issi faiterement 
Le fist cuvertement, 

E tres’quil vint dl nostre, 

Tant qu’il hume fud carnel, 

E pur nus fud mortel, 

Si fist Des cointement 
E senz parceivement, 

Que angeles ne Vcunuiseient 
Ki enz el cel esteient. 

Pur qeo quant le Fiz Deu 
Vint en sa majeste, 

Dunt il angeis turnad, 

Quant pur nus s’encharnad, 

As angeles demanderent 
Ki ensemble od lui er ent, 

“Ki est eist reis de glorie, 

Ki repaire od victorie?” 

Cil qui od Deu esteient 
Icest respuns rendeient, 

“Ceo est li reis de glorie, 

Ki repaire od victorie”. 

Sic et Salvator noster .... cooperuit intelligentibus vestigia carnis 
(sic! BCG: deitatis) suae\ .... doncc descenderet in uterum Virginis, 
et salvaret hunc qui erraverat humanum genus . Ex hoc ignorantes eum 
ascendentem ad Patrem, hi qui sursum erant angeli dicebnnt ad eos 
qui cum Domino ascendebant (Ps. XXIII, 8 f.): ‘Quis est iste rex gloriae? 
Responderunt illi : Dominus virtutum ipse est rex gloriae. 

In den versen 77, 19—26 geht Philipp abweichend vom lateinischen 
text in’s breite. 

Für die verse 78,5—8 findet sich in den uns bekannten redaktionen 
kein anhalt. 

Mit vers 78,10 stimmt überein, was Lo und Plinius (VIII, 52) be¬ 
richten: 

‘Li leuns blanc coc crent, 

De char le cri ki en vent\ 

‘Leo gallum et maxime album veretyr’. Lo. 

Atque hoc tale, tarn saevum animal rotarum orbes circumacti cur- 
rusque inanes et gallinaceorum cristae cantusque etiam magis terrent, 
sed maxime ignes. Plinius. 

Dass Philipp diese züge nicht direkt aus Plinius genommen hat, son¬ 
dern aus seiner Vorlage, geht einmal daraus hervor, dass Lo wenigstens 
den einen berichtet; ferner daraus, dass beide eine ausgedehnte allego-* 
rische deutung erfahren (v. 78, 13—22 und v. 80,1—5). Zwischen beide 
deutungen schiebt sich v. 78,23—79,28 der passus über die ‘ratio quare 
sic cantantur höre’ ein, der aus einem geistlichen buche dieser art ent¬ 
lehnt sein dürfte, oder auch entstanden auf grund dessen, was Isidor im 


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thaün's physiologus und seine quellen. 39 


ersten buche der officien kap. XIX 4 De tertiae, sextae, et nonae officiis’, 
kap. XXIII ‘De matutinis’ sagt (Arevalo t. VI, s. 386 f., 389 f.). 

Vers 78,11 wird 80,7 widerholt und erfährt dann in den versen 
80,8—15 eine auslegung, die uns durch A erhalten ist: 

‘Et sacez del leun 
Un altre entenciun; 

Qu’tl ad itel sort 
Que a oilz uvert dort ; 

Sacez $eo signefie 

Le Fiz Sande Marie n 

Enz en sa mort veillal, 

Quam par mort mortuat; 

Diable apelat mort, 

Dist qu’il serait sa mort, 

E sun destruiement, 

Nostre respunsement, 

Et en sa mort veillud 
Quant Diable liad; 

Par la mort Damne-De 
Nus est repos dune, 

Par sa mort venqui 
Satan nostre enemi’. 

Secunda natura teonis est quum dormierit oculi ejus vigilant, 
aperli enim sunt , [sicut in canticis canticorum testatur sponsus dicens]: 
‘Ego dormio et cor meum vigilaV. Etenim corporaliter Dominus meus 
obdormiens in cruce et sepultus, deitas ejus vigilabat. 

Für die verse 80,16—23 fehlt uns ein anhalt, sie müssen aber, da 
sie eine allegorische deutung enthalten, aus der Vorlage stammen. 

Die dritte natur des löwen wird in vers 80,24—81,7 behandelt, und 
zwar mit geringen abweichungen so wie in A. Dieser passus findet sich 
zum teil mit denselben Worten schon im Computus vers 1673—92 unter 
dem titel: ‘quare catuii teonis sunt tribus diebus et tribus noctibus quasi 
mortui' . Man vergleiche die folgenden texte: 


Bestiaire. 
‘Sacez que la leune, 

S’un mort feun feune, 

E dune sen feun tent , 

Si li leuns i survent, 

Tant veit entur e crie 
Que al terz jur vent a vie 
[Et iceste nature 
Mustre ceste figure.] 

Sacez que Sande Marie 
Leone signefie , 

Et li leun cel Crist 
Ki pur gent mort se /ist; 
Par treis jurz jut en terre 


Computus. 

‘Or fait l’um questiun 
Des chaels al leün, 

Que i$o signefie 
Que treis jurz sunt senz vie 
Enz el cumencement 
De lur foünement, 

E puis vienent a vie 
Par le leün ki crie. 

C’est grant signefiance, 

Aiez en remembrance: 

Deus fut morz, jut en terre 
Treis jurz pur nus cunquerre 
Sulunc s’humanitet, 


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40 


MANN, 


Pur noz ames conquere, Nient sulunc deutet. 

Sulunc humanite, 

Nent sulum deite, 

[Si cum Jonas fist, 

Ki el peissun se mist.] 

Par le cri del leun Par le cri del leün 

La vertud Deu parnum, La .vertut Deu pernum, 

Par quei resuscitad Par quei resuscitat 

Crist [e] enfern despuillat, E enfern despuillat; 

Ceo est signefiance, Aiez en remembrance, 

Aez en remembrance’. C’est grant signefiance’. 

A. 

Tertia natura leonis est, quum leaena peperit catulum, generat cum 
mortuum; et custodit eum tribus diebus, donec veniens pater ejus die 
tertia [insuflat] in faciem ejus et vivificat eum. Sic omnipotens Pater 
Dominum nostrum Jesum Christum filium suum tertia die suscitavit a 
mortuis. 

Bemerkungen. 

Der artikel vom löwen hat bei Philipp abweichend von allen uns 
bekannten Physiologen eine sehr ausgedehnte behandlung erfahren. Aller¬ 
dings finden sich auch bei ihm die bekannten drei typischen naturen, 
aber Philipp ist sich derselben nicht mehr bewusst und lugt mehrmals als 
‘altre nature’ weitere ‘naturen’ hinzu. Dürfen wir seinen Worten glauben 
schenken, so tut er dies auf grund seiner Vorlage, denn er beginnt den 
passus vers 76,5 ff., welcher schon im Computus enthalten ist und für 
den wir keine quelle entdeckt haben, mit den Worten: 

‘Oez del altre nature, 

Sulunc Saint Escripture’, 

die in unseren redaktionen erste natur aber mit den Worten: 

‘Uncor dit Escripture 
Leuns ad tele nature’. 

Hierzu muss ferner wider daran erinnert werden, dass Philipp mit Escrip¬ 
ture oder Saint Escripture auf seine Vorlage verweist. Dieselbe dürfte 
demnach, wahrscheinlich veranlasst durch die ausserordentlich reiche und 
vielseitige behandlung, welche der könig der tiere bis dahin in der typo- 
logischen literatur erfahren hatte, die meisten der oben genannten züge, 
für die uns die quelle fehlt, aufgenommen haben. 

Was die darstellung der drei naturen anlangt, so weicht Philipp nicht 
unwesentlich von A ab. So fehlt im eingang die bibelstelle Genesis 49,9, 
bei der ersten natur die bibelstellen Offenb. Joh. 5,5 und Psalm 24,8 und bei 
der zweiten natur Hoheslied 5,2. In bezug auf die dritte natur berichtet 
der lateinische text, dass die jungen löwen durch anhauchen (insuflare) 
in’s leben gerufen werden, während Philipp dies durch anbrüllen geschehen 
lässt. Der äthiopische physiologus 1 sagt: ‘bläst ihm in’s angesicht’. 

1 Vgl. Hommel, Die äthiop. übers, des Physiologus. Leipzig 1877, s. 46. 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


41 


Von den übrigen lateinischen redaktionen bieten B G Lt L 2 Wi Lo 
und Vespasian E. x. der Cottoniana denselben text wie A. Der text in 
C hingegen ist ganz verstümmelt, während er in D unleserlich geworden 
ist; und da die Pitra-Mai’sche recension den löwen gar nicht behandelt, 
so sind für unsere Untersuchung die gesammten lateinischen bearbeitungen 
herangezogen worden, welche wir haben einsehen können. 

Der armenische physiologus 1 behandelt die drei naturen des löwen 
wie die genannten lateinischen physiologen. 

Zu der zuletzt erwähnten parallelstelle des Bestiaire und Computus 
sei noch erwähnt, dass sich die verse Best. 81,1 f. und Comp. 1683—86 
im Computus noch an anderer stelle finden vers 1531—34. 

2. Einhorn. 

Das einhorn ist ein tier mit einem hom auf dem köpfe und von der 
gestalt eines bockes, das nur mit list gefangen werden kann. Zu diesem 
zwecke begibt sich der jäger in den wald, wo es sich auf hält, und setzt 
in denselben eine reine jungfrau mit entblösster brust nieder. Sobald das 
einhorn die jungfrau merkt, kommt es zu ihr, küsst ihr den busen und 
schläft in ihrem schoosse ein. So wird es gefangen genommen. 

Die jungfrau bezeichnet die heilige jungfrau Maria und das einhorn 
Jesum Christum, welcher im schoosse der heiligen jungfrau ruhte und 
menschliche gestalt annahm und durch seine feinde den tod für uns erlitt. 

Bemerkungen. 

Unser lateinischer text sagt gegen Schluss der naturgeschichtlicheu 
darstellung des einhorns: ‘(unicornis) vero, ut viderit iliam, insilit in sinum 
virginis, et anplectitur eam et sic capitur, et exhibetur in palatio regis’. 
Dem ‘viderit’ steht bei Philipp entgegen das ‘par odurement la sent’. 
Ferner gibt Philipp überhaupt diesen satz so wider: ‘Dune vent a la pu- 
celle, (e) si baiset sa mamele, en sun devant se dort, issi ventasamort; 
li hom survent atant, ki l’ocit en dormant, u trestut vif le prent, si fait puis 
sun talent’. Auch in der allegorischen deutung hat Philipp nur den grund- 
gedanken unseres textes aufgenommen und geht sonst seine eigenen wege, 
indem er einerseits die erläuternden bibelstellen nicht bringt, andererseits 
aber noch überflüssigerweise den busen der jungfrau und den küss allego¬ 
risch deutet. 

Die physiologen C (mit ausnahme der hermeneia), G, Lj und L 2 folgen 
der darstellung unseres physiologus A, während die oben angegebene ab- 
weichung Philipp’s sich im Bestiaire divin des Guillaume le Norman wider¬ 
findet, wo es heisst: 

‘Quant l’unicorne est revenue, 

E ad la pucele veue, 

Dreit a lui vent demeintenant, 

Et (se chouche) en son devant; 

Et la damoisele le prent 


1 Eine Übersetzung desselben in’s Französische hat veröffentlicht: 
Cahier in seinen Nouveaux M61anges t 1, s. 117 ff. 


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42 


MANN, 


Come eil que a lui se rent. 

Od la pucele envoise tant 
Q’endormie est son devant; 

Atant saillent eil qui l’espient, 

Ilec la prennent et la lient, 

Pois la meinent devant le rei, 

Tot a force et a desrei’. 1 

In der allegorie hingegen schliesst sich Guillaume eng an A und B an. 

Der artikel vom einhorn, wie ihn der brüsseler physiologus heute 
bietet, stammt erst aus dem 13. jahrhundert. Es ist nämlich, wie aus 
dem format und der beschaffenheit des pergaments, sowie aus der Schrift 
hervorgeht, an dieser stelle ein blatt eingeschaltet worden, um eine liicke 
auszufiillcn. Das folgende blatt beginnt mit den letzten zeilen über das 
einhorn. Es bleibt deshalb die möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass ur¬ 
sprünglich hier das einhorn in einer Philipp’s darstellung sich noch mehr 
nähernden weise behandelt worden sei. 

8. Panter. 

Der panter ist ein auffallend schönes und kostbares tier von bunter 
färbung. Sanft ist er an gemüt und friedliebend und allen tieren ein 
freund, ausser dem drachen. Er frisst verschiedenerlei fleisch und wenn 
er gesättigt ist, legt er sich in seine höhle und schläft drei tage lang. 
Wenn er aber am dritten tage sich erhebt, stösst er ein lautes gebrlill aus, 
und indem er brüllt, geht von seinem munde ein duft aus wie von bal- 
sam oder pigment. Alle tiere weit und breit, die ihn gehört haben, ver¬ 
sammeln sich und folgen dem süssen dufte seines mundes. Nur der drache 
allein wird von furcht ergriffen, flieht den geruch und verbirgt sich in der 
erde; kläglich in sich zusammengezogen liegt er da, starr und unbeweg¬ 
lich, als wenn er tot wäre. 

Der panter bezeichnet das leben Jesu Christi auf erden, die tiere sind 
wir raenschen und der drache bezeichnet den teufel. Drei tage lag Christus 
in der erde, um unsere Seelen zu gewinnen, am dritten tage stand er 
wider auf, besiegte den teufel und entriss uns seiner gewalt, wie wir ge¬ 
hört haben vom propheten David: Du bist in die höhe gefahren und hast 
das gefängniss gefangen (psalm 68,19). 

Bemerkungen. 

Wie schon im ersten teile dieser arbeit hervorgehoben wurde, lässt 
uns in bezug auf den panter der physiologus A im stich, weil er in diesem 
abschnitt durch merkwürdige einschiebungen und willkürliche auslassungen 
zumal gegen das ende hin ziemlich unverständlich wird. Weil nun bei 
abfassung von A und B, wie aus dem eingange der artikel vom löwen 
hervorgeht (Etenim Jacob etc.), jedenfalls ein sogenannter Chrysostomus 
zu gründe gelegt wurde und dieses verwantschaftliche verhältniss durch 
die fast durchgängige Übereinstimmung von A und B bestätigt wird, so 


1 Ed. Cahier, Melanges etc. t. II ff., s. 111 ff.; vgl. II, 224. 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


43 


halten wir es für gerechtfertigt, in diesem falle für A B zur Vergleichung 
heranzuziehen. Mit B stimmt G vollständig überein. 

Die verse Phüipp’s (82,18): 

‘Icest beste mue 
Divers mangers manjue’ 

glauben wir zurückführen zu dürfen auf die bemerkung von B: ‘quum 
ergo comederit et satiaverit se diversis venationibus’, ebenso wie die verse: 
‘En terre mucherat 
Cum mort, se girat 
Lait e desfiguret, 

Cum se il fust tued 

Muver ne se purrat ’ (82, 29 ff.) 

auf: ‘fulcit se in subterraneis cavernis terrae; .. .in semetipso contractus ob- 
torpescit, et remanet ibi immobilis atque inanis, tamquam mortuus’. Ueber- 
haupt ist die allegorie in B viel ausgedehnter als bei Philipp und mit zahl¬ 
reichen bibelstellen belegt. Philipp hingegen erklärt, was sich in B nicht 
findet, das gebrüll des panters als die stimme des himmels und den duft, 
der von seinem munde ausgeht, als das heilige gebet. Diese letztere er- 
klärung erinnert an die worte von B: ‘Sicut enim praesentia aromatum 
aspicit reddent odorem suavitatis; sicut verba Domini, quae de ore ejus 
exeunt, laetificant corda his qui audiunt ea’. Ausserdem sagt Philipp ab¬ 
weichend von B, dass Pan der rechte name für Gott sei und führt das 
näher aus, indem er auch den schönen vergleich mit der sonne und ihren 
strahlen gebraucht. — Vers 83,21: 

‘Uns est multiplianz, 

Sultiz, nobles, vaillanz’ 

erinnert widerum an die worte von B: ‘sicut dictum est per Salomonem 
(Weish. VII, 22) per (propter?) Dominum Nostrum Jesum Christum qui 
est Dei sapientia, intelligibilis, sanctus, unicum, multiplex, subtilis, mobi- 
lis (sic; nobilis) etc.’ — Vers 84,1—7 lässt Philipp eine kurze Schilderung 
des drachen folgen, auf die wir an anderer stelle (unter Isidor) zurück¬ 
kommen, da sie nicht dem Physiologus entnommen ist. 

Dass der text in A so verderbt ist, ist um so mehr zu beklagen, 
als der text in den uns bekannten physiologen B, G, und L 2 gleich¬ 
lautend ist, und die Pitra-Mai’sche recension und C, welche im naturge¬ 
schichtlichen teile in der hauptsache mit B, G, Lt und L 2 übereinstimmen, 
entweder gar keine allegorie zeigen, oder, wie C, dieselbe sehr kurz fassen. 
Ein besonderer zug von C ist es aber z. b., dass es statt des ‘vario quidem 
colore’ im eingange hat: ‘varius est sicut tunica Joseph’, was übrigens 
auch im angelsächsischen und äthiopischen physiologus gesagt wird. 

4. Steinbock. 

‘Porcon’ bedeutet im Griechischen das, was man französisch ‘chevere’ 
nennt. Dieses tier liebt es, auf hohe berge zu steigen und hat ein äusserst 
scharfes gesicht, so dass es genau zu unterscheiden versteht, von welchen 
menschen gefahr ihm droht und von welchen nicht. 


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44 


MANN, 


Bemerkungen. 

Eigentümlich ist es, dass Phillipp für ‘ steinbock ’ das wort ‘porcon’ 
gebraucht. Jedenfalls hat er dasselbe aus seiner Vorlage herübergenommen, 
denn es finden sich die verschiedensten Schreibungen. A sagt: ‘Item est 
animal, quod graece dicitur dorcas (öoQxag gazelle), latine vero caprea’ 
und gebraucht nachher, wie B, im texte ‘coreon’. D und G nennen das 
tier im eingange ‘dorcon’ und die leipziger handschriften haben an der¬ 
selben stelle sogar ‘ dracon \ Der kleriker Pierre aus der Picardie, welcher 
im auftrage von Philippe de Dreux, bischof von Beauvais von 1175—1217, 
einen prosaphysiologus in der spräche von Beauvais abfasste 1 , gibt ihm 
‘en griu’ den namen ‘dragon’. Es kann daher nicht weiter auffallend 
sein, wenn die Vorlage Philipp’s, wie wir vermuten, zu den Schreibungen 
dorcas, dracon, corcon etc. eine neue Schreibung ‘porcon’ brachte. 

Dem verse Philipp’s: ‘e si est itel beste, ki munte alt pur paistre’ 
widerspricht der lateinische text, wenn es heisst: (de hac Physiologus 
dicit, quia) amat altos montes, pascitur autem in convallibus montium. 
Der Widerspruch wäre gehoben, wenn man autem weglassen, oder dafür 
vielleicht enim setzen, und unter ‘convallis’ eine ‘hohe berglehne’ ver¬ 
stehen dürfte. Guillaume le Norman, beschreibt diesen zug folgender- 
massen: 

‘En granz mons mainnent volenters, 

Es plus hals et es plus pleners; 

Es valeies d’entor se poissent’, Cahier III, 220 
und Pierre gibt ihn mit den Worten wider: ‘Phisiologus dist qu’il aime 
moult les hals mons, e paist volontiers es pendans des mons — Den vers 
Philipp’s: ‘Tres ben seet purpenser se il deit luinz aler’ haben wir in 
beziehung gesetzt zu den Worten des lateinischen textes: ‘statim agnoscit 
an viatores sint an venatores’. Der Physiologus Guillaume’s sagt an 
dieser stelle: 

‘(Demeintenant, per veir) sauront 

Si veneor u errant sont’, 

und der des Pierre in Übereinstimmung damit: ‘et saura ben s’il i sont 
veneor ou errant’. — Dass der steinbock hoch in den bergen herumklettert, 
wird im Computus zweimal hervorgehoben, nämlich in den beiden ab- 
schnitten: ‘de capricomo’ und ‘de capricorno allegorice’, wo es heisst: 

‘Kar si cum cele beste 

Volt munter halt pur paistre’. V. 1427 f. 

‘Chievre est une itel beste 

Ki muntet halt pur paistre’. V. 1775 f. 

Im zweiten abschnitt beschreibt Philipp auch den steinbock und 
gibt, zum teil auf grund dieser beschreibung, eine allegorische deutung 
desselben, die von der des Bestiaire verschieden ist. 

Die auslegung des steinbocks im Bestiaire stimmt mit der in A 
darin überein, dass derselbe auf Christus gedeutet wird, und dass seine 
eigenschaften des klar- und weitsehens widerum auf eigenschaften Christi 


1 Ed. Cahier in M&anges d’Archäologie etc., t. II, s. 106 ff. 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


45 


bezogen werden. Die art und weise aber, wie Philipp auf grund der 
ersten eigenschaft diese beziehung erläutert, berührt sich nur mit der 
darstellung in A. Den versen 84, 14 — 21 kann aus dem physiologus A 
nur an die Seite gestellt werden der passus: ‘Sic et Dominus Jesus 
Christus amat excelsos montes: hoc est prophetas, apostolos, patriarchas; 
et sic in canticis canticorum (II, 8, 9) dicit: Ecce patruelis meus sicut 
caprea venit saliens super colles, et sicut caprea in convallibus pascitur 
montium. Sic et Dominus noster Jesus Christus in Ecclesia pascitur, in 
his qui christiani boni sunt; sicut ipse dicit (Matth. XXV, 35): Esurivi 
enim et dedistis mihi manducare sitivi et dedistis mihi potum; et reliqua 
quae sequuntur. Convallia vero muntium, qui sunt per Universum mun- 
dum, Ecclesiae per diversa loca intelliguntur’. Cahier III, 219 f. 

Grüsser ist die ähnlichkeit zwischen Philipp und dem physiologus A 
in der auslegung der zweiten eigenschaft; denn den versen 84, 22 — 30 
entspricht der lateinische text: ‘Quoniam autem acutissimam habet aciem 
oculorum caprea, et procul omnia prospicit, et a longe omnia cagnoscit; 
significat Salvatorem nostrum, dicente Scriptura (1. Könige 11,3): ‘Deus 
seientiae Dominus est’. Et omnia quae divina majestate sua creavit et 
condidit, regit et videt et prospicit; et antequam in cordibus nostris dicto, 
facto aut cogitatu aliquid oriatur, ille tanquam Deus longe ante praevidet 
et recognöscit venantium dolos, ita Dominus noster Jesus Christus providit 
et praescivit dolus diaboli et proditoris sui Judae’. 

Der armenische, der älteste lateinische und der eine berner physio¬ 
logus (C) behandeln den steinbock nicht, während A, B, L t , L 2 und G ihn. 
übereinstimmend behandeln. Eine untergeordnete abweichung im texte 
zeigen an einer einzigen stelle in der allegorischen auslegung G, L, und L 2 . 

5. Hydrus. 

Der‘Idrus’ ist ein grosser feind des krokodils, dessen tod er durch 
list herbeizuführen strebt. Wenn er nämlich das krokodil mit offnem 
munde am flussesufer schlafen sieht, so wälzt er sich im schlämme hemm, 
(damit er desto leichter in dem schlunde desselben hinabgleite), und 
schleicht sich in den mund. Das krokodil erwacht und ist so gierig, dass 
es ihn lebendig verschlingt. Der ‘Idrus’ aber zerbeisst ihm die eingeweide 
und kommt unversehrt aus dem verendeten tiere heraus. 

Das krokodil versinnbildlicht tod und teufel und hölle, der ‘Idrus’ 
aber Christus. Wie der ‘Idrus’ sich im schlämme wälzt, um in die ein¬ 
geweide des krokodils zu schlüpfen, so nahm Jesus Christus menschliche 
gestalt an, fuhr hinab zur hölle und erlöste uns vom tode und führte uns 
heraus. Lebendig fuhr er hinab zur hölle, besiegte den teufel, und gieng 
lebendig wider aus ihr hervor. 

Bemerkungen: 

Im ältesten lateinischen physiologus wird der hydrus nicht behandelt, 
im armenischen findet sich das, was in A gesagt wird, in knapper dar¬ 
stellung unter dem titel: ‘Enhydrion’. C, betrachtet den hydrus eben¬ 
falls nicht, A, B und G stimmen überein; jedoch bringt G erst am Schlüsse 
noch den satz: ‘Quia et corporum multorum sanctorum cum Christo eo 


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MANN, 


tempore surrexerunt’ (ebenso natürlich 1^ und I> 2 ). A bietet widerum 
einen text, welcher sich dem altfranzösischen am meisten nähert. Philipp 
weicht von ihm insofern ab, als er die bibelstellen Matth. 27,52, Hosea 13,14 
und 1. Cor. 15,54 weder citiert, noch mit dem texte verwebt. Ausserdem 
findet sich im physiologus A für die ersten verse Philipp’s kein anhalt, 
welche lauten: 

‘Idrus est beste e nage 
D’un estrange curage; 

A colovere est semblance (semblable!), 

En isle est conversable; 

E Phisologus 
I§eo dit, que ydrus 
Volonters est en idles, 

Mult pareet cocodrilles ’. V. 85,4—7. 

Während A und ebenso B und G davon sprechen, dass der hydras im 
Nile lebe, weist ihm Philipp also auf insein seinen aufenthaltsort an. Da 
der hydrus als feind des krokodils, welches nach vers 86, 9 im Nüe lebt, 
notwendig auch in diesem flusse leben muss, so kann man unter dem 
‘isles’ nur die Nilinseln verstehen, von denen schon Solin berichtet. 
(‘Multas magnasque ambit insulas’ schreibt er vom Nil kap. XXXII, 6). 
Wir sind aber nicht der ansicht, dass Philipp’s Vorlage hier wirklich von 
insein gesprochen habe, sondern es zeigt schon die oben verbesserte stelle, 
dass der text durch den Schreiber der handschrift in diesen versen ver¬ 
derbt worden ist, und so glauben wir auch, dass für ‘en isle’ zu lesen 
ist ‘en Nil’. Alsdann würde auch Philipp übereinstimmen mit A, wo es 
heisst: ‘Item est animal in Nilo flumine quod dicitur ydris’. Da der 
hydrus im wasser lebt und sein name ‘wasserschlange’ bedeutet, was 
zudem Isidor (Et. XII, IV, 22: ‘Hydrus, aquatilis serpens’) berichtet, so 
kann es nicht weiter auffallen, dass Philipp entgegen dem Physiologus seine 
eigenschaft zu schwimmen ausdrücklich hervorhebt und ihm ebenso die 
gestalt einer schlänge zuschreibt. Solin (XXXII, 25) und Plinius (VIII, 90) 
legen die dem hydrus angedichteten züge dem ichneumon bei, der sich 
in das innere des tieres begibt, wenn es angenehm gekitzelt vom Schnabel 
des kleinen vogels trochilus, den rachen möglichst weit aufreisst. Der 
Picarde Pierre schliesst sich in der darstellung des hydrus eng an A an. 
Nur Guillaume le Norman berichtet vom hydrus als von einer schlänge: 
‘Une manere est de serpent 
Qui en yaive ad habitement; 

Ydrus ad non’. Cahier III, 214. 

Vers 86, 8—16 lässt Philipp nach der allegorischen auslegung noch eine 
naturgeschichtliche Schilderung des krokodils folgen, auf welche wir noch 
(unter Isidor) zurückkommen werden. Sie steht zum artikel vom hydrus 
in demselben verhältniss, wie die Schilderung des drachen zum axtikel 
vom panter. 

6. Hirsch. 

Wenn der hirsch eine schlänge in ihrer grübe (fosse) aufgefunden 
hat, füllt er sich den mund mit wasser und giesst dasselbe in die grübe 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 47 

hinein. Darauf atmet er und bläst er so heftig mit seinen nüstem, dass 
er die schlänge herauszieht. Wenn sie aber heraus ist, tritt er sie mit 
den fiissen tot. 

Unter dem hirsche verstehen wir Jesum Christum, unter dem wasser 
die göttliche Weisheit, unter der schlänge den teufel, und unter ihrer 
höhle die menschen. 

Bemerkungen. 

Der hirsch findet sich in der weise Philipp’s kurz behandelt im arme¬ 
nischen physiologus, dagegen nicht im ältesten lateinischen. Leider lässt 
uns auch A im stich, was um so mehr zu bedauern ist, als B, C und G 
sowol untereinander, als von der darstellung Philipp’s abweichen. Am 
nächsten kommt derselben B, welches wir daher zur Vergleichung heran¬ 
gezogen haben. Die abweichungen sind gering: statt ‘ventrem implet 
aqua’ hat Philipp f en sa buche eve prent’; ferner deutet er vers 86, 26 
den atem des hirsches auf den heiligen geist, was in B nicht geschieht. Die 
allegorische auslegung lautet in B: ‘Ita et Dominus noster Jesus Christus 
videns inimicum diabolum in omni humano generis natione quasi in quodam 
speleo (sic) inhabitantem, habens in semetipso divini sapientiae fontem, 
cujus non potest ille antiquus draco sufferre sermones’. Was nun noch 
folgt, findet sich weder bei Philipp, noch auch in C oder G. C vergleicht 
das wasser, mit welchem der hirsch die schlänge aus der höhle treibt, 
mit dem blut und wasser, welches aus der wunde des heilands floss. 
G weicht gänzlich ab, indem es von zwei arten von hirschen spricht. 
Die eine art sind diejenigen, welche die schlangen durch den atem aus 
ihrem versteck treiben, sie töten und verschlingen und darnach das 
Schlangengift in reines wasser ausspeien; die andere art wird gebildet 
von denen, welche, nachdem sie die schlangen getötet haben, auf einen 
berg eilen, um nahrung zu suchen. Es ergibt sich daraus einmal das 
bild des sündigen menschen, welcher in der lehre der kirche heilung sucht, 
und dann das bild des Siegers über den bösen, welcher schütz suchend 
zu Christus eilt. Anders widerum ist die darstellung im Physiologus des 
Theobald, welche sich an Isidor Et. XII, 1,18 und 19, Solin XIX, 12 und 15 
und Plinius VIII, 114 und 118 anschliesst. 

7. Aptalon. 

Das aptalon ist ein tier von so grosser Wildheit, dass ihm der 
mensch (jäger) nur mit list beikommen kann. Es hat zwei hörner, die 
zackig sind, wie eine säge, sodass es grosse bäume zerschneiden und 
fällen kann. Wenn es durst hat, sucht es den Euphrat auf und trinkt 
von seinem wasser. Daselbst wächst ein kleiner und dichter busch mit 
feinen, aber langen zweigen. Zu diesem busche läuft das aptalon hin, 
wenn es seinen durst gestillt hat, und spielt mit seinen hörnern in den 
zweigen. Dabei verwickelt es sich aber so sehr, dass es sich nicht mehr 
losmachen kann und schliesslich zu schreien anfängt. Auf sein geschrei 
eilt aber der jäger herbei und tötet es. 

Wie Gott dem aptalon zwei hörner gab, mit denen es bäume fällen 
kann, so gab er dem menschen das alte und das neue Testament, damit 


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48 


MANN, 


derselbe durch sie stinde und satan zu fall bringen kann. Neun sind es 
der Sünden, die wir unter den bäumen verstehen: ehebruch, hurerei, hab- 
sucht, stolz (hochmut), diebstahl, trunkenheit, neid, wucher und mord. 
Mit dem wasser wird die trunkenheit bezeichnet, mit dem gebüsche eine 
hure und mit dem jäger der teufel, der den menschen packt, wenn ihn 
wein und weiber verführt haben. 

Bemerkungen: 

Um ein beispiel davon zu geben, wie sehr die darstellung des physio- 
logus A mit der Philipp’s übereinstimmt, lassen wir hier die texte in 
der s. 451 oben angegebenen weise folgen: 


Aptalön geo est beste, 

Si est de tant fer estre, 

Que hom rii pot aprismer, 

Ne ne la pot plaier, 

Se par un engin nun, 5 

Que dirai par raisun. 

Dous cornes ad agues, 

Trenchanz, et esmolues, 

E si sunt endentees 

Cum facilles curvees, 10 

Que el pot detrencher 

Granz arbres e racher ; 

E quant eie ad sai (sic!) grant, 
Une eve vait querant 
[Ki veint de Parais, 15 

U hume fud primes mis,) 

Ceo est Eufraten, 

Issi le apelet l’em; 

Puis vait a un buissunei 
Menu et esspesset 20 

U eie sout juer 
E ses cornes forcer; 

Cesi buissun est nume 
En Griu erechine, 

Mult ad sultif vergetes, 25 

Menues, detietes. 

Unc ne set mol la beste, 

Quant pris est par la teste, 

E que se est enlancet, 

E el buisun lied ; 30 

Quant ne pot escaper, 

Dune cumence a crier\ 

Et al crie que el faxt 
Li veneres i vait, 

Si la troved lied, 35 

E al bussun enlaced . 

[La beste fait grant dol, 


faiture ad de che veröl;] 

Li veneres la prent, 

Si l'ocit en turment; 40 

Issi est en nature, 

Ceo est ceste figure. 

Beste de lei baillie 
Est hume de ceste vie\ 

Dous leis Des li dunat, 45 

Que hom pur com escai ; 

La velz lai et la nuvele, 

Que mult est sainte bele, 

Par que hom pot destruire 
Pechet, Diable, e ire, 50 

Cum la beste fait 
Le arbre ki contre stait. 

Par les arbres entent 
Corruptiun de gent, 

Nof pechez criminals (-eis!) 55 

Par quei hum est morteis, 

Ceo est adulterium 
E le altre fornicatiun, 

Superbe et avarice, 

Injurie, malveise vice, 60 

Le siste detractiun, 

Le vij. omicidium, 

Usure, ebrietas, 

Tut geo fait Sathanas, 

Hom destruit raisunable, 65 

(Jeo est vertud de Diable, 

Si cum la beste fait 

L’arbre quae contre stait 

Mais quant la beste bait 

De Peve quae eie vait, 70 

Al buissun vait freier, 

Ses cornes enlacer, 

Et dune est retenue 
E prise e deceue; 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


49 


E $eo est allegorie, 75 

Car le eve signefie 
Jveresce, e li buissun 
Puiaine, par grant raisun ; 

Par le veneur entent 

Sathan, ki hume prent, 80 

Quant puiain Vad lied, 


Surpris, et enginned\ 

Ceo pot Diable faire, 

Si cum dit Bestiaire; 

Ceo dit Escripture, 85 

Vin e femme unt une nature, 

Que funt del sage fol, 

Tribuc/ier el pol. V. 87,3—88,17. 


Item est aliud animal qui dicitur autolops, acerrimum, ita ut nee 
Venator ei possit adpropinquare. Habet autem longa cornua serrae figu- 
ram habentia, ita ut possit etiam arbores resecare altas et magnas, et 
ad terram deponere. Quum autem sitierit, venit ad magnum Eufraten 
fluvium, ei bibit. Est autem ibi frutex qui dicitur graece hericine, Habens 
virgulta subtilia et prolixa. Veniens autem, incipit ludere cornu ad he - 
recinam; et dum ludit, obligat cornua in virgultis ejus. Quum autem 
diu pugnans se liberare non possit, tune exclamat voce magna. Audiens 
autem Venator vocem ejus, venit et occidit eum, — Sic et tu homo, qui 
studes sobrius esse et castus, et spiritualiter vivere, cujus duo cornua 
sunt duo Tcstamenta, per quas poteris resecare et excidere abs te omnia 
vitia corporalia: hoc est adalterium, fornicationem, avaritiam, invidiam, 
superbiam, detractionem, ebrielatem, et omnem lubricam hujus saeculi 
pompam. Tune congaudent tibi angeli et omnes virtutes caelorum. Cave 
ergo, homo Dei, ab ebrietate; nec obligeris luxuria et voluntate (sic; vo- 
luptate), et interficiaris a diabolo. ‘ Vinurn enim et mutier es apostalare 
faciunt homines a Deo .’ (Jesus Sirach II, 19). Cahier II, 117 f. 

Wenn Philipp vers 87,10 den Euphrat im paradies entspsingen lässt, 
und wenn er vers 87,21 dem aptalon die gestalt einer ziege gibt, so 
sind das bemerkungen, welche sich im Physiologus nicht finden, welche 
aber Philipp sehr wol aus eigener kenntniss und Vorstellung nieder¬ 
geschrieben haben kann. Jedoch muss hervorgehoben werden, dass 
Philipp das wunderbare tier, worunter man jedenfalls eine gazellenart zu 
verstehen hat, ‘Aptalon’ nennt, während unser lateinischer text‘Autolops ’ 
schreibt. Ausserdem gibt Philipp die neun Sünden nicht genau wider. 
Beiden texten gemeinsam sind: adulterium, fomicatiun, avarice, superbe, 
detractiun, ebrietas. Gegenüber stehen den siinden: injurie, malveise vice, 
welche als fünfte zusammengefasst werden, und omicidium und usure bei 
Philipp die invidia und omnis lubrica pompa des lateinischen physiologus. 

Das aptalon findet sich ohne allegorische auslegung behandelt im 
ältesten lateinischen physiologus, und als hydrops, welches am Aradzani 
lebt, im Armenischen. Cahier sieht den umstand, dass grade dieser fluss 
in den ältesten orientalischen bearbeitungen citiert wird, als einen beweis 
dafür an, dass der Physiologus in Mesopotamien entstanden sei. — Die 
Physiologen A und B stimmen überein, C bietet in diesem abschnitt einen 
ganz verstümmelten text. D (Paris) spricht davon > dass das aptalon 
ganze wälder auf der flucht mit seinen hörnern niederlege. Hätte nun 
Philipp als Vorlage eine handschrift benutzt, von der D eine abschriffc ist, 
so hätte er sicher auch die schärfe der hörner des aptalons in der weise 
von D illustriert. Ebenso kann Phüipp keine redaktion benutzt haben, 

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MANN, 


deren text uns durch G (L,, L 2 ) erhalten ist, denn G gibt den namen 
des busches hericina nicht und zeigt in der auslegung bei gleichem grund- 
gedanken doch eine abweichende fassung des textes. 

8* Ameise* 

Salomon sagt von der ameise (Sprüche VI, 6 & 8): Gehe hin zur 
ameise, du fauler, siehe ihre weise an, und lerne. Bereitet sie doch ihr 
brot im sommer, und sammelt ihre speise in der ernte. 

Die Schriften sagen (Physiologus sagt), dass die ameisen drei naturen 
haben. Die erste natur ist die, dass sie reihenweise geordnet von ihrer 
höhle ausgehn, um kömer jeglicher art zu suchen. Wenn sie welche ge¬ 
funden haben, nehmen sie dieselben mit ihrem munde auf und tragen 
sie in ihre behausung. Andre aber, welche diesen ameisen leer begegnen, 
sagen nicht zu ihnen: ‘gebt uns von eurem‘getreide’, sondern gehen auf 
der spur jener weiter, [finden getreide und bringen es in ihre wohnuug]. 

Darum sind sie nicht jenen fünf törichten jungfrauen der Schrift 
(Matth. XXV) zu vergleichen, welche mit leeren lampen zu einer hoch- 
zeit giengen, während die fünf klugen jungfrauen öl in den lampen mit 
sich nahmen und freudig aufgenommen wurden (88,21—89,20). 

Die zweite natur der ameise ist die, dass sie die gesammelten 
körner in zwei teile teilt, [damit sie im winter nicht hunger leide]. 

So trenne auch du, mann Gottes, den samen (d. i. der heiligen Schrif¬ 
ten) in zwei teile, in einen historischen und einen geistigen, damit du im 
winter, das ist am tage des gerichtes, nicht umkommst. Deshalb sagt 
der apostel Paulus: ‘Denn wir wissen, dass das gesetz geistlich ist; ich 
aber bin fleischlich, unter die sünde verkauft’ (Röm. VII ,14); und: ‘Denn 
der buchstabe tötet, aber der geist macht lebendig’ (2. Corr. III, 6). Der 
verräterische jude aber versteht nur den buchstaben (v. 90, 2—16). 

Die dritte natur der ameise ist die, dass sie durch den geruch zu 
unterscheiden weiss, ob sie weizen- oder gerstenkömer vor sich hat 
Wenn sie gerstenkörner gefunden hat, geht sie weiter und sucht nach 
weizen. Hat sie weizen gefunden, so nimmt sie die ähre und trägt sie in 
ihre höhle. 

Die gerste bezeichnet die lehre der häretiker. Lasst uns daher 
fliehen die lehre des Photius, Sabellicus Donatus und Arius. 

Bemerkungen. 

Der äthiopische und der armenische physiologus behandeln die drei 
naturen der ameise im wesentlichen wie der älteste lateinische und A B, 
fassen sich aber in der auslegung ganz kurz. C bringt unter ‘de natura 
formicae’ und ‘de natura formices secunda’ das, was in A und B die 
zweite und dritte natur ausmacht, wobei es sich ebenfalls in der auslegung 
sehr kurz fasst, und schliesst hieran unter dem titel: ‘ de formiaca exigua’ 
einen abschnitt, welcher den übrigen Physiologen fremd ist. G stimmt 
mit B bis auf die punkte überein, dass es, wie der älteste lateinische 
physiologus, die bibelsprüche Salomo’s Sprüche VI, 6—8 nicht citiert. 
A, dem PMlipp’s text widerum am nächsten steht, fasst sich in der alle- 


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thaün’s physiologus und seine quellen. 


51 


gorischen auslegung der zweiten natur kürzer als B und G, was der 
neigung des Schreibers, ganze Sätze zu unterdrücken, zuzuschreiben ist. 

Eine eigentümlichkeit Philipps ist es, dass er die eigenschaft der 
ameise, der zu folge sie am geruche gerste und weizen zu unterscheiden 
weiss, schon bei der ersten natur erwähnt, obgleich sie die dritte aus¬ 
macht und daselbst auch noch einmal erscheint (vers 89,1 f.: 90,17 f.). 
Bei keinem der eben erwähnten Physiologen ist dieses verfahren ein¬ 
geschlagen, auch in denen des Guillaume le Norman und Pierre nicht. 
Auch tritt in der darstellung der ersten natur bei Philipp der berührungs- 
punkt zwischen der allegorischen auslegung und der naturgeschichtlichen 
beschreibung wenig oder gar nicht hervor. Diese berührung liegt aber 
darin, dass die ameisen, welche noch kein kom gefunden haben, die¬ 
jenigen, welche sie mit körn treffen, nicht bitten: ‘Gebt uns von eurem 
getreide’, während die fünf törichten jungfrauen, welche kein öl hatten, 
von denen welches erbaten, die mit gefüllten lampen ausgegangen waren. 
Dieses gleichniss von den fünf klugen und fünf thörichten jungfrauen bot 
aber Philipp vielleicht gelegenheit, sich selbst einmal (vers 89,21—30) in 
allegorischer auslegung zu versuchen; wenigstens findet sich eine solche 
in den uns bekannten redaktionen nicht. Die fünf jungfrauen sind ihm 
die fünf sinne, ihre jungfräulichkeit bedeutet ihm keuschkeit, durch welche 
der mensch bei der hochzeit willkommen ist, das ist zum jüngsten gericht, 
wo unser herr Gott der bräutigam ist. Die lampe ist ihm ein Sinnbild 
der seele, das öl das des Christentums, und ihr licht das des heiligen 
geistes. Für diese darstellung haben wir nirgends einen anhalt gefunden; 
vielleicht hat Philipp einen kommentar zu diesem gleichnisse benutzt. 
Desgleichen haben wir keine quelle dafür entdecken können, dass Philipp 
vers 91, 1—6 das Stroh des weizens als den buchstaben des gesetzes aus¬ 
legt und die ähre (flur) als die allegorische bedeutung desselben. Die 
verse 91, 7—12: 

‘E £eo dit escripture, 

Furmi n’ad d’orge eure, 

Grant chose signefie, 

Oez le allegorie; 

Li orges est pulture 
A mue creature; 

Par orge entendum 
De erites le raisun. 

E ceo dit Salemun 
Par veir en sa raisun, 

“Pur furment me dunerent 
Orge, ki me arerent”;’ 

stimmen überein mit diesem passus von A: ‘Ordeum enim brutorum ani- 
marum (sic) cibus est. Denique Job dicit: pro tritico prodiit mihi ordium. — 
(Fuge) tu, homo Dei, ordeum, hoc est doctrinas haereticorum’. Auffällig 
hierbei ist, dass Philipp irtümlich die eben angegebene bibelstelle auf 
Salomon bezieht, während sie doch, wie A richtig sagt, aus Hiob stammt, 
wo es kap. 31, 40 heisst: ‘So wachsen mir disteln für weizen, und dornen 
für gerate’. Vers 91,18: 

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52 


MANN, 


‘Sacez par Salemun 
Sage gent entendum’ 

bezieht sich Philipp noch einmal auf Salomo, ein beweis, dass der obige 
fehler nicht auf rechnung des Schreibers zu setzen ist. — Der excurs 
vers 91,13—20 ist unseren lateinischen redaktionen fremd. 

Unter der gerste versteht Philipp nach vers 91, 10 die lehre der 
häretiker, ‘de erites le raisun’, während er vers 91, 20 neben der ‘eresie’ 
noch bosheit und sünde (boisdie, pechez) miteinbegreift. Von den liäre- 
tikern selbst, welche in A, B und G übereinstimmend namhaft gemacht 
werden, führt unser dichter nur ‘Fotin’, ‘Sabelliun’ und ‘Donet’ an, denen 
er ‘Arrianon’ beigesellt, während A (B) zu der reihe der abtrünnigen nur 
hinzufugt: ‘et omnes qui ex Arrii peste (B: stirpe) progrediuntur’, den Arius 
selbst also nicht ausdrücklich erwähnt. Bemerkenswert ist, dass A wie 
Philipp Fotinus schreibt, B hingegen ‘Fortinus’, ein umstand, welcher 
abermals für die Übereinstimmung von A mit der Vorlage Philipp’s spricht. 
A, B und G nennen im ganzen neun häretiker, unter anderen auch den 
Macedonius, von dem berichtet wird, dass er nur gerstenbrod ass! C be¬ 
gnügt sich mit der erklärung: ‘Ordius similabitur aliena doctrina, triticum 
aequitatem fidei spiritus’. Was endlich überhaupt die widergabe des 
stoifes bei Philipp anlangt, so hat er, wenn seine Vorlage sich nicht 
kürzer fasste als A, besonders in den allegorien gekürzt, dabei aber auch 
eigenes hinzugefügt. Die kürzungen sind aber insgesammt unwesentlicher 
art, so dass alles wesentliche sich bei Philipp widerfindet. — An die dar- 
stellung der ameise, wie er sie dem Physiologus entnommen hatte, knüpft 
Philipp noch die Schilderung einiger weiterer eigensehaften, ferner einer 
anderen art von ameisen, und endlich die beschreibung des ameisenlöwen, 
was er aus anderen quellen entlehnt hat, weshalb wir unten noch darauf 
zurückkommen werden (s. unter Isidor). 

9. Honocentaurus. 

Bemerkungen. 

In der naturgeschichtlichen Schilderung bei Philipp heisst es, dass der 
honocentaurus bis zu den htiften die gestalt des menschen und von da ab 
die gestalt des esels hat. Die auslegung lautet: ‘Ihnen sind zu vergleichen 
die tückischen und doppelzüngigen menschen, welche an sitten zweigestaltig 
sind; wie der apostel sagt (II. Tim. III, 5): ‘Die da haben den schein 
eines gottseligen wesens, aber seine kraft verleugnen sie’. Von ihnen 
sagt auch der prophet David (Psalm IL, 21): ‘Wenn ein mensch in der 
würde ist und hat keinen verstand, so führet er davon wie ein vieh\ 
Philipp gibt als autorität für seine darstellung Isidorus an, welcher den 
‘Onocentaurus’ Et. XI, 3, 39 behandelt. Er könnte ihn höchstens neben 
dem Physiologus benutzt haben, da das citat der gleichen bibelstelle, welche 
er übrigens verstümmelt widergibt (Ps. 49, 21), entschieden auf eine be- 
nutzung des Physiologus hinweist. Für die benutzung des Isidorus ist 
aber um so weniger ein grund vorhanden, als dieser auch nur das berichtet, 
was schon in A enthalten ist. Entweder hat also Philipp die Wahrheit 
seiner darstellung durch die autorität Isidor’s stützen wollen, oder es ist 


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thaün’s physiologus und seine quellen. . 53 

überhaupt für ‘Ysidorus’ ‘Phisologus’ zu lesen. Es würde dann Phüipp 
sich der weise von A anschliessen. Woher er es genommen hat, dass 
das griechische ‘onos’ esel bedeutet, ist nicht mit Sicherheit zu sagen, 
wahrscheinlich aber aus dem abschnitt vom wildesei bei Isidor XII, 1, 39, 
wo es heisst: l ovov quippe graeci asinum vocant’. Beim honocentaurus 
(XI, 1,39) und esel (XII, 1, 38), wo man diese etymologie zunächst ver¬ 
muten sollte, findet sie sich nicht. 

Der honocentaurus wird im armenischen und ältesten lateinischen 
physiologus nicht behandelt, im äthiopischen, sowie in A, B, C, G (ebenso 
in Lj, L 2 , W 4 ) dagegen in Verbindung mit den Sirenen. Dieser Überein¬ 
stimmung von so verschiedenen handschriften gegenüber ist kaum anzu¬ 
nehmen, dass sich Philipp’s Vorlage anders verhalten habe, und es muss 
daher die frage, warum er Sirenen und honocentauren getrennt darstellt, 
eine offene bleiben. 

Den direktionen der königlichen Universitätsbibliothek zu Göttingen, 
der herzoglichen braunschweigischen bibliothek zu Wolfenbüttel, sowie 
der königlich sächsischen öffentlichen bibliothek zu Dresden sei hiermit 
für ihre liebenswürdige Unterstützung mein verbindlichster dank abgestattet. 


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VITA. 


Ich, Max Friedrich Mann, wurde am 27. September 1860 
auf rittergut Nentschau hei Hof in Bayern geboren und empfing 
daselbst den ersten unterricht. Nachdem mein vater im frtih- 
jahre 1868 seine besitzung verkauft hatte und nach Leipzig 
übergesiedelt war, besuchte ich in dieser stadt zunächst drei 
jahre lang die erste bürgerschule und darauf von ostern 1871 
an die realschule I. Ordnung, welche ich ostern 1879 mit dem 
Zeugnisse der reife verliess, um mich dem Studium der neueren 
sprachen zu widmen. Demselben lag ich sieben semester auf 
der Universität Leipzig und ein semester auf der Universität 
Halle ob, während welcher zeit ich in Leipzig den Vorlesungen 
der herren Biedermann, Birch-Hirschfeld, Brandes, 
Braune, Ebert, Heinze, Hildebrand, Masius, Pückert, 
Seydel, Trautmann, Wülcker, Zarncke und Zöllner, 
in Halle den der herren Aue, Elze, Haym, Keil, Suchier, 
Wardenburg und Zacher gefolgt bin. In Leipzig war ich 
mitglied der seminarien der herren professoren Masius und 
Zarncke, sowie der romanischen gesellschaft des herrn pro- 
fessor Ebert, in Halle gehörte ich den seminarien der herren 
Aue und Wardenburg an. 

Anfang März 1883 reichte ich bei der philosophischen 
facultät der Universität Leipzig meine dissertation ein, gieng 
aber kurz darauf behufs vervollkommung im neufranzösischen 
noch auf ein semester nach Genf, wo ich die Vorlesungen der 
herren Edouard Humbert, Marc-Monnier und Eugene 
Ritter besuchte. Nach meiner rückkehr legte ich am 24. Ok¬ 
tober 1883 die mündliche promotionsprtifung ab. 

Allen den genannten herren fühle ich mich für die viel¬ 
seitige anregung und reiche förderung in meinen Studien zu 
aufrichtigem danke verpflichtet. 


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